Ich habe Antón Barba-Kays A Web of Our Own Making – eines der tiefgründigsten Bücher der letzten Jahre über den Einfluss der digitalen Ära auf unsere Zivilisation – noch einmal in Ruhe gelesen. Eine zentrale Erkenntnis ist, dass die menschliche Vernetzung die Auswirkungen der digitalen Revolution unausweichlich macht. Selbst jene, die sich dagegen wehren oder sich aus dem Online-Leben zurückziehen, stehen vor einer grundlegend von der digitalen Welt geprägten Realität.

Eine weitere Erkenntnis ist die Versuchung, unsere physische Umgebung – einschließlich unseres Körpers und zwischenmenschlicher Beziehungen – digital zu gestalten. Die Zukunft wird nicht in einem Metaversum liegen, in dem alle unermesslich viel Zeit in einer von KI bevölkerten virtuellen Realität verbringen. Stattdessen wird erwartet, dass Körper und Orte durch digitale Bilder geprägt werden. Die Onlinewelt setzt mittlerweile den Maßstab für das gesamte Leben.

Du denkst vielleicht: »Das betrifft mich nicht. Ich kann mich immer abmelden. Ich muss mich nicht in soziale Medien oder virtuelle Realitäten einbinden – ich kann mich einfach ausloggen.« Doch so funktioniert menschliche Kultur nicht. Das Fernsehen veränderte den öffentlichen Diskurs bereits, als manche gar keinen Fernseher besaßen. Soziale Medien reduzieren politische Debatten auf Clips und Schlagworte. Selbst wenn du den Livestream deiner Kirche nie ansiehst, verändert allein die Präsenz einer Kamera, die den Gottesdienst überträgt, das Erlebnis für alle: den Pastor, der einem unsichtbaren Publikum begegnet, den Lobpreisleiter, der sich an die Anforderungen der Übertragung anpasst, und die Anwesenden, die realisieren, dass ein Moment der Anbetung eingefangen werden könnte.

5 wichtige Handyregeln für die Jugendarbeit
Um dich und die Jugendlichen, mit denen du kommunizierst, zu schützen, solltest du ein paar Grundregeln und Grenzen für deinen Umgang mit den Jugendlichen festlegen.

Niemand ist eine Insel

Niemand bleibt unberührt, wenn sich eine neue Technologie verbreitet. Brad Littlejohn liefert in seinem Artikel Narcissus in Public ein eindrucksvolles Beispiel. Während der Weihnachtsferien brachte er seine Familie auf die Eisbahn im Skulpturengarten der National Gallery. Dort fiel ihnen eine Gruppe junger Frauen auf, die die Eisbahn lediglich als Kulisse für glamouröse Instagram-Shots nutzten. Andere Schlittschuhläufer mussten ausweichen, um nicht gefährdet zu werden, ihre Blicke abwenden, um den übermäßig aufreizenden Posen zu entgehen, oder ihr eigenes Erlebnis so anpassen, dass es nicht in den selbst inszenierten Auftritten unterging. Littlejohn schreibt:

»Die jungen Frauen im Skulpturengarten sahen die Eisbahn nicht als einen physischen Ort, sondern als perfekte Leinwand für ihre digitale Selbstinszenierung. Sie passten das, was an ihnen besonders war, dem Medium an.«

Was auf den ersten Blick wie eine persönliche Entscheidung erscheinen mag – etwa Selfies zu machen oder ein bestimmtes Image zu kuratieren – verändert zugleich das Erlebnis für andere. Wir halten unsere Handygewohnheiten für rein individuell. Doch wenn Millionen von Menschen ihren Bildschirmen Vorrang vor der umgebenden Welt einräumen, reichen die Folgen weit über das eigene Leben hinaus.

Wenn du täglich wiederholt deine Aufmerksamkeit zwischen Smartphone und realer Welt aufteilst, veränderst du nicht nur deine Erwartungen, sondern auch das soziale Gefüge um dich herum.

Littlejohn bringt es auf den Punkt:

»Nicht nur mussten wir alle unsere Schlittschuhlinien anpassen, um ihnen auszuweichen – was das Risiko von Auffahrunfällen erhöhte –, sondern grundsätzlicher veränderten sie die Atmosphäre des gesamten Raumes. Man hatte nicht das Gefühl, Teil eines wirklich öffentlichen Raumes zu sein, sondern fühlte sich in jedem Moment als Eindringling in etwas Privates – oder in etwas, das privat sein sollte.«
Das erste Handy als Tor zu Pornos
Pornografie ist im Internet leicht zu finden – auch für Heranwachsende. Über die Folgen berichtet die Psychotherapeutin Tabea Freitag.

Die Regeln der Aufmerksamkeit haben sich geändert

Dieses Phänomen kennst du sicher auch aus anderen Lebensbereichen. Bist du mit Freunden auf einer Wanderung und genießt das Gespräch sowie die umgebende Schönheit, ändert sich die Dynamik, sobald jemand sein Handy herausholt, um den Moment für soziale Medien festzuhalten. Die Landschaft wird plötzlich nicht mehr nur als Landschaft wahrgenommen – alles birgt das Potenzial, zu Content oder zum Hintergrund für ein Selfie zu werden. Die Wanderung ist nicht länger ausschließlich ein Erlebnis für dich und deine Freunde. Sie wird zu einem Ereignis, das übertragen, bewertet und online diskutiert wird.

Befindest du dich in einem Geschäftstreffen und zücken ein oder zwei Personen ihr Smartphone oder öffnen ihren Laptop, ändert sich die »Genehmigungsstruktur« (en. permission structure) des Raumes. Die Erwartung, dass alle voll präsent – also wirklich anwesend und engagiert – sind, schwindet. Ablenkung wird unvermeidlich. Selbst derjenige, der fest entschlossen ist, das Smartphone in der Tasche zu lassen und aufmerksam zu bleiben, wird von dieser Verschiebung betroffen sein.

Und wie verhält es sich in der Kirche? Wenn du in den Reihen jemanden entdeckst, der mitten in der Predigt auf Instagram scrollt, ändert sich die Atmosphäre. Die uneingeschränkte Aufmerksamkeit für Gottes Wort wird nicht mehr selbstverständlich vorausgesetzt. Du befindest dich in einer Gottesdienst-Gemeinschaft, in der viele nicht vollständig präsent sind. Halbherzige Zuhörbereitschaft und abgelenkte Teilnahme werden für alle als akzeptabel angesehen.

Littlejohn weist auf den kumulativen Effekt hin:

»Das Schlimmste an kollektiven Handlungsproblemen ist, dass selbst diejenigen, die sich entschieden gegen den Trend wehren, letztlich keine Wahl haben: Entweder schließt man sich an oder man bleibt von den Auswirkungen nicht verschont. Wenn ich als Einziger im Raum hartnäckig darauf bestehe, mein Handy nicht zu nutzen, bleibt mir nichts anderes übrig, als nur die Köpfe aller anderen zu betrachten.«
Erst mit 14 ein Handy?!?
Warum es sich lohnt zu warten.

Präsenz zurückerobern

Unsere Handlungen sind stärker miteinander verknüpft, als wir oft glauben. Wenn ich meinem Sohn bei den Hausaufgaben helfe oder mich mit meiner Tochter unterhalte und dabei kurz zum Smartphone ablenke, sende ich eine Botschaft: Dieser Moment erfordert nicht meine volle Präsenz. Oder schlimmer: Du bist mir nicht interessant genug. Schauen wir gemeinsam mit den Kindern einen Film, während ich nebenbei E-Mails checke, verändert sich nicht nur mein Erleben, sondern auch das der Kinder.

Ein Prinzip aus Paulus’ erstem Brief an die Korinther passt hier: »Alles ist mir erlaubt; aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt; aber nicht alles erbaut« (1 Kor. 10,23–24). Paulus mahnt: »Niemand suche sein eigenes Wohl, sondern das des anderen.« Als Christen sind wir verpflichtet, uns darüber bewusst zu sein, wie unsere persönlichen Entscheidungen das Leben unserer Mitmenschen beeinflussen.

Du bist keine Insel. Deine Handygewohnheiten betreffen nicht nur dich. Unsere digitalen Entscheidungen spiegeln unsere Prioritäten wider und haben weitreichende Konsequenzen. Wenn wir nicht bereit sind, uns ehrlich in den Spiegel zu schauen und Räume sowie Zeiten zu schaffen, in denen – gemeinsam – festgelegt wird, dass Ablenkung durch unsere Geräte tabu ist, folgen wir unbemerkt den Strömungen einer oft unscheinbaren, aber signifikanten kulturellen Devolution.

Die Wahl, vor der wir stehen, besteht nicht nur darin, ob wir unser Handy mehr oder weniger nutzen als andere. Es geht darum, ob wir bereit sind, vollständig präsent zu sein und die kollektiven Auswirkungen unserer individuellen Entscheidungen anzuerkennen.

Dieser Artikel wurde von Trevin Wax verfasst und zuerst von The Gospel Coalition (TGC) veröffentlicht. Deutsche Version von Andy Fronius. Verwendet mit Genehmigung von The Gospel Coalition.

Spendier uns einen Kaffee

Mit Dauerauftrag oder Einmalspende hilfst du uns, wertvolle Ressourcen für Familien und Jugendarbeit zu ermöglichen.