Interview: Elisabeth Deutscher
Die Gesprächspartnerin: Simona Boermann ist Trauerbegleiterin für Kinder und Jugendliche und Therapeutische Seelsorgerin

Ich falle gleich mit der Tür ins Haus – wie gelingt ein guter Abschied? 

Ich glaube, damit ein guter Abschied gelingt – und da ist es erstmal relativ egal, um welche Art von Abschied es geht – ist ein offener und ehrlicher Umgang ganz wichtig. Wenn nicht offen kommuniziert wird, dass ein Abschied bevorsteht, dann ist dieser schwerer zu verkraften. Also wenn einer das mit sich ausmacht und den anderen nicht einbezieht oder den Schmerz weit weg schiebt und so tut, als wäre nichts. Den meisten Menschen tut es gut, wenn sie sich langsam mit einem nahenden Abschied auseinandersetzen und gemeinsam reflektieren können. Damit haben sie sich innerlich schon auf einen Abschieds-Weg begeben, aus dem man leichter eine Stärke entwickeln kann, als wenn man von der Situation überrascht wird.

Das Abschiednehmen ist ein Prozess. Foto Samridhhi Sondhi

Schnell, schnell ist da also eher nichts zu machen?

Eher nicht. Das Abschiednehmen ist ein Prozess. Ich mag dieses Wort, weil darin so viel Bewegung steckt. Es macht deutlich, dass man das nicht mal eben kurz erledigt hat. Abschied ist eine Wegstrecke, die man zurücklegt. Und eine Aufgabe, mir der man sich befassen muss.

Was ist denn das Phänomen »Abschied« aus Sicht einer Professionellen? 

Abschiednehmen bedeutet sich trennen. Etwas »scheiden« zu lassen. Das ist eine aktive Handlung: Ich muss innehalten, um zu realisieren, was da passiert ist. Das muss ich erstmal aushalten. Es ist wichtig, die eigenen Gefühle dazu nicht wegzudrücken oder einen schnellen Ersatz zu suchen. Dann muss ich irgendwie auf die veränderte Situation reagieren, einen Umgang mit ihr finden, das Leben und seine Zusammenhänge neu sortieren, auch mit Blick nach vorne. Vielleicht gelingt es mir, das Verlorene auf einer neuen Ebene, z.B. in der Erinnerung weiterleben zu lassen und offen für neue Erfahrungen zu werden.

Es geht darum, den Abschied zu gestalten, zu durchleben, ins veränderte Leben fließen zu lassen. 

Macht es denn einen Unterschied, ob man sich von Menschen, Lebensträumen, Rollen oder der Heimat trennen muss? 

Für mich liegt ein großer Unterschied in der Dimension des Verlusts, auch wenn manche Gefühle oder Reaktionen ähnlich sind. Bei einer Jobabsage ist das Ausmaß ein anderes, als wenn es um die Beziehung zu einem Menschen geht – erst recht, wenn ein nahestehender Mensch stirbt. Ich will gar nicht bewerten, ob das eine schlimmer ist als das andere, das sind individuelle Wahrnehmungen. Aber die Endgültigkeit des Todes macht einen großen Unterschied zu allen anderen Abschiedsszenarien, weil die Beziehung nicht mehr in dieser greifbaren Form von Gesprächen, gemeinsamen Unternehmungen oder Umarmungen erlebbar ist. Das ist unwiederbringlich. In so einer Erlebniswelt kann man sich mitunter schwer darauf einlassen zu sagen, dass eine Jobabsage vergleichbar tragisch ist.

Warum nehmen uns denn Abschiede emotional so sehr mit?

Abschiede lösen unerwartete Gefühle in uns aus, die wir uns erstmal erklären müssen. Foto Callum Skelton

Weil Abschiede unerwartete Gefühle in uns auslösen, die wir uns erstmal erklären müssen. Viele sind z.B. beschämt und erschrecken vor sich selbst, dass sie nicht weinen, weil sie eben mit Trauer so sehr Traurigkeit und Weinen verbinden. Oder dass sie einfach nur Wut im Bauch haben und am liebsten schreien oder irgendwas kaputt machen würden. Das alles gehört dazu. Andere erleben diesen Prozess des Abschiednehmens als einziges Auf und Ab: Gerade noch war ich vergnügt, aber ein Musikstück, ein Wort, ein Auto, das vorbeifährt, ein bestimmter Parfümgeruch können den Verlust ganz unerwartet und auch nach langer Zeit wieder sehr präsent machen. 

Kann man Abschiednehmen vorbereiten oder trainieren, damit es weniger weh tut? 

Forschungen beobachten, dass Menschen eine ähnlich schwierige Situation unterschiedlich verkraften: Manche gehen fast kaputt, andere scheinbar ohne Blessuren da durch und eine dritte Gruppe ist irgendwo dazwischen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Resilienz, also der inneren Widerstandskraft oder Fähigkeit, Krisen zu durchstehen oder gar für positive Entwicklungen zu nutzen. Diese innere Stärke scheint mir nur in begrenztem Maße erlernbar, weil sie viel mit individuellen Prägungen und Vorerfahrungen zu tun hat.

Wenn sich jemand besonders schwertut, eine Abschiedssituation zu verkraften, dann war vermutlich vorher manches schon schwierig – entweder in dieser Beziehung, in früheren Abschieden oder auch in der Kindheit. Da man dann möglicherweise abgespeichert haben, man sei auf jeden Fall schuld, klein, ungeliebt oder genüge nicht. Solche persönlichen Überzeugungen wirken in schwierigen Situationen als starke Erklärungsmuster und erschweren es mitunter, die Kraft in sich zu finden, um die Situation lebensförderlich zu bewältigen. Häufig suchen Menschen dann das Gespräch mit einem seelsorgerlichen Begleiter, weil sie sich im Kreis oder nur um dieses Verlustereignis drehen und möchten, dass jemand mal mit draufschaut. 

Also wäre ein Schlüssel, das Selbstbewusstsein zu stärken? 

Zumindest erlebe ich, dass eine gewisse innere Stabilität und das Wissen, was man sich zutraut und was man schon gemeistert hat, starke Ressourcen sind, um einen Abschied emotional gut zu bewältigen. Vorbereitend kann es helfen, sich frühzeitig mit dem Thema Abschied und seiner eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen und so ein Bewusstsein für sich selbst zu entwickeln, indem man sich z.B. bei kleineren Abschieden genauer beobachtet:

  • Was passiert mit mir, wie reagiere ich, was ist mir wichtig, was tut mir gut, was überhaupt nicht?
  • Wie habe ich als Kind reagiert, wenn ich Abschied nehmen musste, etwa bei einem Schulwechsel oder als mein Haustier gestorben ist?
  • Komme ich ganz gut alleine klar?
  • Oder bin ich ein eher nicht so belastbarer Typ?

Dann hilft es mir vielleicht, wenn ich mir bei einem nahenden Verlust frühzeitig Unterstützung hole.

Wie wäre denn ein guter Umgang mit der Trauer um einen Verlust?

Man kann von außen schlecht beurteilen, wie bewusst oder intensiv sich jemand mit seinem Verlust auseinandersetzt. Foto Motoki Tonn

Da geht jeder seinen eigenen Weg. Manche lassen es jeden wissen, anderen tut es gut, ihre Traurigkeit nicht ungefiltert nach außen zu tragen. Ihnen hilft es, einen Bereich des Lebens zu haben, in dem einfach Normalität herrscht und in dem sie sich als kompetent und leistungsfähig erleben. Die Arbeit zum Beispiel. Das gibt Stabilität. Die schlechteste Lösung ist, den Schmerz zu verdrängen. Manche haben aber erst einmal keine Kraft, sich dem ganzen emotionalen Ausmaß des Verlusts zu stellen, und verarbeiten den Verlust erst Jahre später – dann aber genauso intensiv.

Deshalb kann man von außen schlecht beurteilen, wie bewusst oder intensiv sich jemand mit seinem Verlust auseinandersetzt. 

Was ist denn wichtig bei der Trennung von Beziehungen oder Freundschaften? 

Eine solche Trennung wird oft schwierig, wenn sich die Beteiligten nicht auf Augenhöhe begegnen, also nicht von Anfang an offen und ehrlich kommunizieren, dass es ein Problem gibt. Es wird ja selten gefragt »Sollen wir uns trennen?«, sondern häufig teilt einer mit, dass er nicht mehr an der Beziehung oder Freundschaft festhalten kann oder will. Derjenige hat sich vorher mit der Frage auseinandergesetzt, die Entscheidung für sich gefällt und ist dem anderen damit voraus. So ist eine Trennung für den Verlassenen oft schwerer zu verkraften als für denjenigen, der geht. Daneben ist es natürlich schwieriger, sich in gegenseitigem Wohlwollen zu begegnen, wenn man verletzt ist. Wer sich fallen gelassen oder unwert behandelt fühlt, tut gut daran, den Anteil beider Partner realistisch auseinanderzuhalten. Und ich glaube, das Gefühl, etwas versäumt zu haben, macht es auch schwer. Das hat dann wieder mit bewusst leben zu tun:

Wenn ich weiß, was ich möchte, was mir wichtig ist, wie ich Beziehungen gestalte und das mit meinem Partner kommuniziere; und dann feststelle, das passt irgendwie nicht zusammen mit uns – das ist eine andere Situation als im Nachhinein zu erkennen, dass man sich gar nicht richtig mitteilen konnte.

Welche Abschiedsrituale können helfen?

Manchen tut es gut, alles aufzuschreiben, z.B. in einem Abschiedsbrief. Manche werfen das dann weg, anderen hilft es, das abzuheften.

  • Ein emotionaler Typ mag ein Feuer machen und bestimmte Dinge verbrennen. Oder ein Abschiedsfest feiern, ein Abschiedsgeschenk überreichen.
  • Einem kopflastigen Menschen ist eher durch strukturiertes Nachdenken geholfen, zum Beispiel in Form einer Positiv-Negativ-Liste: Was ist schlimm an der Situation, was ermöglicht sie mir aber auch? Und worauf möchte ich mich jetzt konzentrieren?
  • Wer mit Wut im Bauch dasitzt, dem hilft kein Gespräch nach dem Motto: »Jetzt schauen wir mal nach vorne, wie geht es weiter?« Da muss die Wut womöglich erst rausgeschrien oder rausgerannt werden.

Kurzum: Es gibt kreative Möglichkeiten, je nachdem, was zu dem Menschen und zur Situation passt.

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