Ich bin gerade gefragt worden, für eine Zeitschrift einen Artikel zu dieser Aussage zu schreiben. Hier steht gleich, was ich dazu geschrieben habe. Mich würde aber vielmehr eure Meinung zu dieser Thematik interessieren.

»Wieso soll ich mich anstrengen? Aus mir wird doch sowieso nichts!«

Jesus hat seine Zuhörer immer wieder aufgerufen, sich um die zu kümmern, die ungerecht behandelt werden, die zu kurz kommen, die in unserer Gesellschaft benachteiligt werden. Wer genau ist den das hier bei uns im reichen Deutschland?

Zwei Geschichten, die auf den ersten Blick absolut nichts miteinander zu tun haben:

Tatort: Christ Camp bei Krefeld! Etwa 120 elf und zwölfjährige Jugendliche von einer Hauptschule in Gelsenkirchen schauen mich teils gelangweilt, teils abschätzend an. Ich soll diese Woche, während ihrer Klassenfahrt Geschichten erzählen, Spiele und Lernaktionen veranstalten, aber irgendwie ist das diesmal ein richtig hartes Pflaster. Selbst mein Team von richtig guten Zivis ist leicht genervt. »Sonst klappt das doch immer, was ist denn los hier?«

Vor ein paar Jahren hat ein Freund mir von seinem Mietshaus erzählt. Seiner Familie war gekündigt worden, denn das Haus sollte platt gemacht werden. In drei Monaten mussten sie raus sein. »Wäre schön, wenn euch vorher noch ein Feuer passieren würde«, scherzte der Vermieter sogar. »Dann bekomme ich wenigstens noch was von der Versicherung für diese Bruchbude!«

»Rate mal«, fragte mich mein Freund augenzwinkernd, »wie viel Energie wir nach der Ansage noch in kleine Renovierungen gesteckt haben?«

»Du bist eben nicht klug genug für einen vernünftigen Job!«

Wie ist das, wenn man mit elf oder zwölf Jahren schon oft genug zu hören bekommen hat, das man sowieso nichts wert ist? Das man sich schon mal auf ein Leben mit Harz IV vorbereiten sollte?

Das man seine Träume auf einen Beruf oder eine Berufung, die dich erfüllen würde, lieber nicht so hoch schrauben sollte?

Geht man dann mit seinem Leben so um, wie mein Freund mit seinem wertlosen Mietshaus? Was macht das mit deiner Seele?

Ist das fair oder ganz normaler Wettbewerb, der zum Leben eben dazugehört?

Mal ganz abgesehen vom Wahrheitsgehalt der Aussage »Aus euch wird sowieso nichts!«, mit der sich viele Hauptschüler konfrontiert sehen – woher kommt eigentlich diese negative Stimmung? Denn man kann das Thema schönreden, wie man will, in unserer Gesellschaft gibt es ein negatives Stigma gegenüber Hauptschülern. Als meine älteste Tochter vor zwei Jahren ihre Grundschulzeit beendete, war diese Stimmung da, bei uns und vielen anderen Eltern: »Bloß nicht auf die Hauptschule!«

In der öffentlichen Debatte, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Vorfälle im Frühjahr 2006 an der Berliner Rütli-Schule, wird die Hauptschule in der Öffentlichkeit oft als »Restschule« oder »Brennpunktschule« bezeichnet.

Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Herbert Gudjons sieht dieses negative Schulbild darin begründet, »dass der Besuch der Hauptschule selten durch freie Entscheidung, sondern weitgehend Folge eines negativen Ausleseprozesses ist«.

Hauptschüler wird man nicht freiwillig, sondern dahin muss man, weil man nicht gut genug war für die »guten« Schulen.

Nur zehn Jahre alt und schon »nicht gut genug!«

Verschiedene Politiker versuchen alles Mögliche mit unterschiedlichem Erfolg. Aber was ist unsere Verantwortung?

Wenn ich die Geschichten der Evangelien lese, sehe ich zunächst mal, dass unter den Zuhörern, Nachfolgern, Interessierten Jesu eine Menge Hoffnungslose, Unbeachtete, Ungebildete waren. Unsere christlichen Glaubensvorfahren zeichnen sich in der Masse nicht gerade durch ihr Bildungsniveau, ihren Status oder ihr Ansehen in der Gesellschaft aus.

Aber gerade in ihnen hat Jesus Potential gesehen. Gerade zu ihnen hat Jesus gesagt: »Ihr seid das Licht der Welt, mit dem ich diesen Planeten zu dem machen möchte, was sich mein Vater erträumt hat!«

Wenn ich im Camp die Chance habe mit Schulklassen zu arbeiten, fordere ich die Lehrer immer wieder heraus, ihre Schüler einmal für diese Woche aus der Schublade zu lassen und sie in den verschiedenen Arenen zu beobachten und zu genießen. Wer zeigt bei den Spielen Leitungspotential, wer kann gut Streit schlichten, wo sind die Athleten und Künstler, wer zeigt Teamfähigkeit? Wie kann ich die Kids auf diese »außerschulischen« Fähigkeiten aufmerksam machen und sie darin fördern?

Daniel Goleman beschreibt in seinem Buch »Emotionale Intelligenz«, dass akademisches Wissen nämlich nicht alles ist. Wir stellen Leute ein, weil sie gut in der Schule waren, aber wir entlassen sie in der Regel, weil sie keine emotionale Intelligenz haben, also nicht gut mit Leuten können.

Ein Freund von mir stellt immer wieder schwer vermittelbare Jugendliche in seinem Cateringbusiness ein und setzt dabei gerade auf Teamfähigkeit und Kreativität.

Immer mehr Gemeinden, nicht nur in Brennpunktbezirken, bieten Hausaufgabenhilfe an. Ein Programm, das übrigens nicht nur gut für die ist, die akademische Hilfe brauchen, sondern gerade auch den »Helfenden« soziale Kompetenz beibringen kann. Etwas 40% der Hauptschüler in Deutschland schaffen es auf irgendeine Art von Ausbildung oder weiterführenden Schulen. Vielleicht können wir dazu beitragen, diese Prozentzahl noch etwas hochzuschrauben.

Jesus und Paulus haben immer wieder darauf hingewiesen, dass es in Gottes Reich keinen elitären Wertunterschied mehr geben darf, zwischen reich und arm, Mann und Frau, gebildet, ungebildet. Ein Königreich, in dem wir uns gegenseitig helfen, unseren wahren Wert zu entdecken. Das hört sich in der Theorie so schön und erstrebenswert an. Jesus würde wahrscheinlich sagen: »Ich lade dich ein, für so eine Welt zu beten, sie zu feiern und es zu genießen, wenn sie jetzt schon mal kurz aufblitzt, und entweder selber aktiv werden und die unterstützen und anfeuern, die hier und jetzt schon daran arbeiten.«

Dieser Artikel erschien zuerst auf untenwieoben.de.

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