Dies ist der zweite von drei Texten zum Thema »Not lehrt beten«. Teil 1 findest du hier.

Die Krise ist ein Scheinwerfer

Und der scheint direkt auf mich. Sicher auch auf andere und anderes – aber bei mir fällts mir am meisten auf. Dinge, die vorher in meinem Leben schon nicht rund liefen, treten in der Krise erst so richtig zutage, oder werden zumindest deutlicher.

»In der Krise beweist sich der Charakter.« —Helmut Schmidt

Zum Beispiel: Bei uns in der Familie waren schon vor Corona viel Stress und nicht so richtig gut verarbeitete heftige Emotionen wegen OPs um Leben oder Tod bei Sohn 02 vor einem Jahr unterwegs.

In der Krise sind wir zeitweise so gestresst, dass wir kaum noch fähig sind, ordentlich miteinander umzugehen, oder einfach so platt, dass neben (über)leben gar nichts mehr funktioniert.

Wenn ich dann abends noch mal über den Tag nachdenke, erschrecke ich selbst über mich, wie unsensibel, egoistisch, ungeduldig, gemein etc. ich war.

Aber auch ganz abseits der Krise geht es mir manchmal so, dass ich über mich erschrecke.

  • Wie oft gönne ich anderen ihren Erfolg nicht, rede ihre Leistungen schlecht, um selber besser dazustehen etc.?
  • Wie oft nutze ich (Not-)Lügen, um eigenes Vergessen, Versagen etc. zu überdecken?
  • Wie oft sind mir andere, die schlechter dran sind, als ich, einfach egal?
  • Wie oft bin ich unzufrieden mit meinem Leben, obwohl es mir so gut geht, wie nur wenigen Menschen auf der Welt?
  • Wie schnell bin ich bereit, über Menschen zu lachen oder wegzusehen, wenn sie gemobbt/beleidigt werden?
  • Wie oft bleibe ich anderen Gutes schuldig?

Wenn ich das bei mir entdecke, reicht es immer zum Erschrecken. So will ich nicht sein. Leider hilft es gefühlt oft wenig, wenn ich versuche mich anders zu verhalten. Immer wieder mache ich doch denselben Mist. Das ist dann manchmal schon zum Verzweifeln.

Warum sind wir anders, als wir wollen?

Ich glaube, dass jeder Mensch tief in sich drin eine Sehnsucht danach hat, geliebt zu werden. Einfach so. Weil er da ist. Ohne Vorleistung, Bedingungen oder AGBs.

Wir brauchen es geradezu geliebt zu werden. Wir können nicht ohne. Wir müssen wissen, dass wir OK sind. Dass wir geliebt werden können, so wie wir sind.

Das Dumme ist, so wunderbar schön, vollkommen und vergebend kann uns eigentlich niemand lieben. Kein Mensch kann unser Bedürfnis nach Liebe letztgültig stillen – und erst recht kein Tier oder irgendwelche Dinge. Weil Menschen eben Menschen sind. Mit eigenen Bedürfnissen und Fehlern. Menschen können quasi gar nicht anders. Sie werden uns immer irgendwie enttäuschen oder verletzen, wenn sie unsere Liebessehnsucht komplett stillen sollen.

Am Ende schafft es nur einer, unsere Liebessehnsucht ganz zu erfüllen: Gott.

Wenn ich also von meinem Freund, oder meiner Partnerin erwarte, dass sie meine tiefste Sehnsucht stillt, verlange ich von ihm/ihr Gott zu sein. Und das muss schiefgehen. Ich werde (a) enttäuscht und (b) erwarte ich zu viel von meinem Gegenüber und verletze es damit.

So tragisch das klingt, aber so laufen wir durch die Welt. Voll tiefer Sehnsucht nach Liebe, die wir von anderen einfordern, die sie uns nicht komplett geben können – und deswegen verletzen wir fortwährend andere und werden von anderen verletzt.

Daran zerbrechen unfassbar viele Beziehungen … und Menschen.

Traurige Sache das.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir denen vergeben haben, die an uns schuldig wurden

Diese Textzeile kommt im Vater Unser so unscheinbar daher, aber sie hat es in sich! Hier geht es nämlich um den Schlüssel, um die Lösung unseres Dilemmas.

Wen ich aus dem Kreislauf von verletzen und verletzt werden, von enttäuschen und enttäuscht werden aussteigen will, dann braucht es Vergebung.

Wir werden ständig aneinander schuldig, weil wir uns nicht das Gute geben können, die Liebe schenken können, die wir brauchen.

Deswegen brauchen wir die Vergebung all derer, die wir enttäuschen und verletzen. Denen wir Unrecht tun.

Und wir brauchen es ebenso, dass wir all den anderen vergeben, die uns enttäuscht und verletzt haben. Die uns Unrecht getan haben.

»Am ersten Tag musst du deine Vergebung vielleicht hundertmal erklären, und auch noch am zweiten Tag. Aber am dritten Tag wird es schon weniger oft nötig sein, und dann von Tag zu Tag immer weniger, bis du eines Tages spürst, dass du vollständig vergeben hast. Und dann wirst du eines Tages für die Heilung dieses Menschen beten und ihn mir übergeben, auf dass meine Liebe jede Spur von Verderbnis aus seinem Leben tilgt.« —William Paul Young in Die Hütte

Vergebung versetzt uns die Lage, miteinander als Menschen umzugehen. Auf Augenhöhe. Wer weiß und lebt, dass er seinem Gegenüber vergeben muss und von ihm Vergebung benötigt, der kann den anderen sehen, wie er ist. Kann sehen, wie toll, schön, talentiert und wertvoll er ist. Und kann den anderen dafür feiern. So – und wohl auch nur so – können wir miteinander leben. Als vergebungsbedürftige Vergebende. In der Krise gilt das mindestens doppelt.

»Vergebung zu üben ist unser wichtigster Beitrag zur Heilung der Welt.« —Marianne Williamson

Eines brauchen wir darüber hinaus: Gottes Vergebung.

Vor allem dafür, dass wir uns von ihm nicht so ausführlich und nachhaltig lieben lassen, dass unsere tiefste Sehnsucht gestillt wird. Als zutiefst Geliebte bräuchten wir von anderen nicht mehr erwarten, dass sie uns lieben wie Gott. Und könnten sie viel fröhlicher und freigiebiger lieben und ihnen verzeihen.

Deswegen:

Gott, schenk mir deine Liebe. Ich brauche sie. Ohne sie kann ich nicht wirklich leben.

Vergib mir, wo ich dieses Geschenk nicht annehme und deswegen andere enttäusche und verletze und selber zum Enttäuschten und Verletzten werde.

Wie schön wäre es, wenn Vergebung überall da Wirklichkeit würde, wo ich unterwegs bin. Ob du das einrichten könntest, Gott?

Danke.

—Dein Heiko

Foto von Samuel Martins auf Unsplash

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