In diesem Sommer baute eine Rotkehlchenfamilie ein Nest unter unserer Terrasse. Meine Tochter, noch nicht ganz drei Jahre alt, war fasziniert. Jeden Morgen hob ich sie auf meine Schultern, damit sie die Vögel sehen konnte: Zuerst die Mutter, dann die winzigen, gerade geschlüpften Küken mit ihren hungrigen, offenen Schnäbeln. Wenige Tage später waren sie gefiedert, bereit zum Flug. Eines Morgens war das Nest leer – die Jungvögel hatten es verlassen.

Für einen Moment dachte ich, sie seien weg.

Doch als wir nach unten schauten, sahen wir die Jungvögel am Boden. Einer hüpfte über ein Stück Sperrholz, ein anderer versteckte sich hinter einer Gartenschaufel. Meine Tochter lief aufgeregt mit ausgebreiteten Armen auf sie zu, und bevor ich reagieren konnte, flatterten die Vögel auf einen Strauch – und flogen davon.

Ich war überrascht, wie schnell und entschlossen sie waren. Vor weniger als zehn Tagen pickten sie noch in ihren zarten babyblauen Eierschalen. Und jetzt hatte ein kleiner Schreck eines Kleinkindes sie zum Fliegen gebracht.

Ich griff nach meinem Handy. Es war nicht in meiner hinteren Tasche. Und seltsamerweise fühlte sich seine Abwesenheit wie ein Segen an. Ich machte weiter mit dem Gärtnern und lächelte mein Mädchen an. Der Moment würde vorerst unser Geheimnis bleiben.

Du hast bestimmt schon die Flut an Studien und Expertenmeinungen zum Thema Jugendliche und Smartphones mitbekommen. Jonathan Haidts Buch Generation Angst steht im Zentrum dieser Diskussion. Es wird in Podcasts besprochen, Auszüge erschienen im Atlantic, und Haidt war in Medien wie dem New York Magazine und der New York Times präsent.

Das Buch ist inzwischen zu einem ideologischen Lackmustest für Eltern geworden, die es oft im privaten Kreis diskutieren. »Hast du schon von Generation Angst gehört?«, könnte ein Elternteil das andere beiläufig fragen, während es Desinteresse vortäuscht und gespannt auf die Antwort wartet. Was sie eigentlich wissen wollen, ist: »Machst du dir genauso viele Sorgen, deinen Kindern ein Handy zu geben, wie ich?«

Einige Experten sind der Ansicht, dass die Berichte über die psychische Gesundheitskrise bei Teenagern stark übertrieben sind. Generation Angst widerspricht dem jedoch deutlich. Mit einer Fülle von Daten, Diagrammen, Anekdoten und Auswertungen medizinischer Analysen zeigt Haidt überzeugend auf, dass Smartphones darauf ausgelegt sind, unsere Aufmerksamkeit zu binden und uns zu ungesunden Vergleichen mit anderen zu verleiten – ein Effekt, der gerade für junge Menschen besonders schädlich ist.

Im Buch vergleicht Haidt das Aufwachsen in der digitalen Welt mit dem Leben auf dem Mars. Theoretisch könnte man dort vielleicht überleben, aber warum sollten wir ausgerechnet unsere Kinder zu Versuchskaninchen machen? Haidt warnt vor den Gefahren des sogenannten »Safetyismus« – einem übertriebenen Sicherheitsdenken, das uns dazu verleitet, unsere Kinder in der realen Welt übermäßig zu behüten. Gleichzeitig zeigt er auf, wie diese Haltung in Kombination mit der rasanten Einführung neuer Technologien dazu führt, dass wir unsere Kinder in der digitalen Welt oft unzureichend schützen.

Seit den 1990er Jahren hat der Verlust gemeinsamer Werte eine Kultur des Misstrauens gegenüber Fremden geschaffen. Dieser Vertrauensverlust führt dazu, dass wir unsere Kinder zunehmend in Angst erziehen, ihren Alltag minutiös durchplanen und Betreuung immer stärker wie Überwachung wirkt.

Dieses Misstrauen hat jedoch seinen Preis. Durch die zunehmende Entfremdung in unseren Kreisen fehlt es Eltern oft an der nötigen Unterstützung, um ihre Kinder zu selbstständigen, verantwortungsvollen Erwachsenen zu erziehen. Laut dem Pew Research Center fühlen sich nur 54% der Amerikaner ihrer Community verbunden. Viele Eltern wollen nicht, dass das iPad oder der Fernseher als Ersatz-Babysitter dient. Doch ohne Alternativen wie einen verlässlichen Babysitter bleibt vielen Eltern oft keine andere Wahl.

Leider ersetzt der Touchscreen auf ungesunde und beunruhigende Weise das, was eine Gruppe von Erwachsenen leisten könnte, denen wirklich das Wohl des Kindes am Herzen liegt.

Aus Angst vor den Nachbarn, die vielleicht zu nah am Spielplatz stehen, überlassen wir Fremden die volle Kontrolle über den digitalen Spielplatz – den Ort, an dem unsere Kinder inzwischen oft mehr Zeit verbringen.

Das Ergebnis sind Jugendliche, die mit ihrem Wohlbefinden kämpfen. Sie haben Mühe, ihre Emotionen zu regulieren, und stoßen bei alltäglichen Aufgaben und Erwartungen oft an ihre Grenzen. Die Welt, die sie erben sollen, scheint ihnen überwältigend – und das nicht ohne Grund. Wir stehen an einer technologischen Schwelle, die von Tag zu Tag feindseliger gegenüber dem Menschen zu werden scheint.

Haidt macht Smartphones klar als Schuldige aus und schlägt konkrete Lösungen vor: Telefone aus Schulen verbannen, mehr Zeit im Freien verbringen und striktere Altersbeschränkungen für Social-Media-Konten. Diese Ansätze sind praktikabel und können von den Communities umgesetzt werden. Doch wenn der »Safetyism« – also ein übertriebener, von Angst getriebener Schutzinstinkt der Erwachsenen – das eigentliche Problem ist, wird die Umsetzung dieser Maßnahmen kaum die tieferliegenden Ursachen beheben.

Manchmal sind wir so damit beschäftigt, unsere Kinder »richtig« zu erziehen, dass wir vergessen, ihnen beizubringen, wie sie selbst das Richtige tun können.

Für manche Eltern ist die größte Sorge, ein Kind großzuziehen, das Fehler macht – ein unvermeidliches Ergebnis, das außerhalb unserer Kontrolle liegt.

Das schadet nicht nur ihnen, sondern auch uns. Es nimmt uns die Freude an der Erziehung. Statt unsere Kinder in das lebendige Chaos von Gottes Welt einzuführen und ihnen die fehlerhaften, aber großartigen Menschen zu zeigen, die sie mit uns teilen, erziehen wir sie aus Angst. So werden wir zu strengen Aufsehern, die darauf bestehen, das Leben auf einem vorhersehbaren und bequemen Kurs zu halten – ein Zustand, in dem es schwer ist, den Ruf des Geistes zu hören, der uns drängt, das zu werden, wozu Gott uns geschaffen hat.

Viele Eltern sorgen sich, dass sie nicht genug Zeit mit ihren Kindern verbringen. Doch wie Haidt feststellt, verbringen Eltern heute mehr Zeit mit ihren Kindern als je zuvor in der Neuzeit. Diese Zeit ist vielleicht oft von unseren eigenen Geräten abgelenkt. Wir arbeiten von zu Hause aus, fahren zu Fußballspielen oder sind mit Dingen beschäftigt, die unsere Großeltern kaum nachvollziehen könnten. Doch wir haben immer noch die größte Chance: die Möglichkeit, wirklich da zu sein.

Um mit unseren Kindern zu reden, während wir eine staubige Straße entlanggehen. Um ihnen Weisheit mitzugeben, die sie annehmen oder ablehnen können. Ihnen das zu schenken, was wir haben, und sie von ganzem Herzen zu lieben. Und ihnen die Chance zu geben, den Gott kennenzulernen, der sie auf eine Weise liebt, wie wir es niemals könnten.

Generation Angst bietet eine solide Grundlage, um zu verstehen, wie sich die Aufmerksamkeitsspanne, das Selbstwertgefühl und die psychische Gesundheit unserer Teenager durch die Nutzung mobiler Geräte verändert haben. Wenn wir die vorgeschlagenen Maßnahmen umsetzen, könnte die nächste Generation tatsächlich in einer besseren Welt aufwachsen.

Doch das löst nicht das Problem der ängstlichen Eltern – Eltern, die der Illusion verfallen sind, dass Sicherheit wichtiger sei als Mut, dass das strikte Befolgen von Regeln wichtiger sei als das wahre Leben und dass nur ein Narr sein bequemes Nest für einen kurzen Flug in den Busch nebenan verlassen würde.

Diese Lektionen müssen wir verinnerlichen, wenn wir den Maßstab für die Erwachsenen setzen wollen, die wir erziehen.

Denn vielleicht beobachtet dich gerade ein Jugendlicher, aufgeplustert und stolz. Er könnte den Sprung wagen, dich für einen Moment in Sorge versetzen – aber ohne diesen ersten, beängstigenden freien Fall würde er niemals fliegen lernen.

Dieser Newsletter entsteht in Zusammenarbeit mit Axis und wurde für den deutschsprachigen Raum angepasst. Der heutige Beitrag stammt von Kate Watson, Autorin, Redakteurin und dreifache Mutter aus dem Hudson Valley, New York. Sie schreibt regelmäßig zu Themen wie Gesellschaft, Kultur und Familie für Christianity Today, Relevant, Insider und Vox. Der Artikel wurde von Esther Penner und Andy Fronius überarbeitet.

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