»Spiels noch einmal Sam«

Kennt ihr dieses Filmzitat aus Casablanca? Ein Leinwandklassiker – das würde ich schon als echte Kunst bezeichnen. Falls du den Film also nicht kennst – klare Empfehlung!

Worum es jetzt wirklich geht: Seit Beginn der Kontakt-Sperren spielt unser Nachbar von zwei Etagen unter uns jeden Abend um 19:00 „Der Mond ist aufgegangen“ auf seiner Trompete. Dass er lustigerweise auch Sam heißt, und es jeden Abend noch einmal … aber lassen wir das.

Dass er das tut, geht auf einen Aufruf der Evangelischen Kirche zurück und findet wahrscheinlich und hoffentlich vielerorts in Deutschland statt. Wenn du da noch einsteigen möchtest – herzliche Einladung!

Am Anfang fand ich das einfach eine nette Idee, dass jeden Abend viele Menschen an ihre Fenster oder auf Balkone treten und dieses Lied hören, spielen, singen – und sich dabei wenigstens aus der Ferne sehen. So fühlt man sich nicht allein, pflegt Gemeinschaft und setzt unserem irgendwie absurden neuen Alltag etwas entgegen.

Aber dann habe ich angefangen, das Lied bewusst mitzusingen, wirklich auf den Text zu achten und mir den ein oder anderen Gedanken dazu zu machen. Das hat mir echt gutgetan, ich habe einiges neues entdeckt – über das Lied und über mich in dieser Krise.

Mittlerweile liebe ich diese Minuten rund um 19:00 Uhr, die mir wirklich ein gutes Gefühl und Hoffnung schenken und weiß jetzt schon, dass ich das in den Nach-Corona-Zeiten vermissen werde …

Wer oder was ist eigentlich ein »Systemrelevant«?

Unter den vielen neuen Wörtern, die wir in den letzten Wochen lernen durften, wie Social Distancing, Homeoffice, Kontakt-Sperre, war eines dabei, das mich besonders ins Nachdenken gebracht hat. Das Wort »Systemrelevant«.

Mit diesem Wort werden Menschen, Dinge oder Berufe beschrieben, die die Politik als so wichtig erachtet, dass sie für unser gesellschaftliches Zusammenleben unverzichtbar sind. Dazu gehören beispielsweise Polizisten, Ärztinnen oder Verkäufer.

Eines ist mir in den letzten Wochen dabei besonders aufgefallen: Wie sehr ich, wie sehr wir Kultur und Kunst brauchen. Wie systemrelevant Kunst und Kultur sind, auch wenn diese Berufe leider und sträflicher Weise nicht auf der offiziellen »Systemrelevant-Liste« auftauchen. Würde es dir auch nur einen Tag gelingen ohne gut gemachte YouTube-Videos, Musik, Filme, Podcasts, Bücher oder Fernsehen auszukommen? Oder gar eine ganze Woche? Gerade jetzt ist es unvorstellbar, oder?

Aber reicht das für Kunst als »die Rettung«?

Was mir aber auch auffällt ist, dass viele Menschen (und mir geht es auch immer wieder so) Musik, Filme etc. gar nicht so recht genießen, sondern sich einfach reinkloppen. Immer Musik im Hintergrund laufen haben, eine Serie nach der anderen bingewatchen, quasi immer und überall mit Kopfhörern unterwegs sind und sich beschallen lassen…

Dann bleibt keine Zeit über das Gesehene und Gehörte nachzudenken, mich davon vielleicht hinterfragen, verändern und weiterbringen zu lassen.

Dann bleibt kaum Raum in meinem Leben für wirkliche Ruhe und Stille und mich mit meinen eigenen Gedanken und Gefühlen.

Kann es sein, dass wir Kunst und Kultur dann nur nutzen, um eine Leere in uns zu füllen? Um Gefühle, die wir nicht mögen, oder Gedanken, die uns belasten im Zaum zu halten und einfach zu übertönen? Gerade jetzt in Coronazeiten mit Shutdown und Kontaktsperre?

Das scheint mir nicht so richtig hilfreich: Von einer wie auch immer gearteten Rettung ist das auf jeden Fall weit entfernt.

So könnts werden

Aber Kunst und Kultur können dir helfen, dich selber, deine Umwelt, deine Situation noch mal neu, anders wahrzunehmen. Sie können dir Fragen stellen, die dich verändern und weiterbringen. Sie können dich zum Lachen bringen (auch über Dinge, die eigentlich schlimm sind), Mitgefühl erzeugen, Absurditäten unseres neuen Alltags aufdecken und, und, und.

Und sei es »nur« ein sich wiederholendes Kirchenlied vom Nachbarschafts-Balkon.

Machs doch einfach selbst

Mindestens genauso gut kann Kunst und Kultur dir helfen, dich zu verändern und zu deiner Rettung in der Krise werden, wenn du sie selber »machst«.

Besonders dann, wenn unser Inneres aufgewühlt, durcheinander oder angstvoll ist, hilft ein künstlerischer Dialog mit mir selber mir wieder klar zu sehen, die Prioritäten zurechtzurücken und meine Werte, meine Vision von Leben wieder ans Licht und zur Geltung zu bringen.

Sich einmal über die Schönheit der Natur Gedanken zu machen und sie zu malen, in einem Gedicht zu beschreiben o.ä. wirkt wahre Wunder gegen Angst.

Sich ein Theaterstück einfallen zu lassen, dass den Wahnsinn des Homeoffice-Alltags überspitzt und lustig darstellt, vertreibt sofort alle Langeweile. Es dann mit der Familie einzuüben, hilft vielleicht sogar gegen die kleinen Streitigkeiten und Genervtheiten, die auftreten, wenn man lange eng zusammen ist?

Kunst und Kultur können und wollen uns retten. Gerade in der Krise.

  • Wie ist es aktuell um deinen Medienkonsum bestellt? Müllst du damit dein Leben und alle unschönen Gefühle und Gedanken zu, oder lässt du dich von Kunst herausfordern, hinterfragen, weiterbringen und mit Hoffnung erfüllen? Wie sieht das bei deinen Jugendlichen aus?
  • Was würdest du dir für dich in der aktuellen Situation diesbezüglich wünschen? Was würdest du dir für deine Jugendlichen wünschen?
  • Wie könntest du auf die Wunschsituation hinarbeiten? Jetzt und vielleicht auch langfristig?

Vielleicht fängst du am besten einfach an und probierst es aus?

Die Selber-Kunst-Machen-Challenge (ein überhaupt nicht kunstvoller Untertitel)

Also los. Kunst machen. Kultur entstehen lassen. Bei dir zu Hause für dich. Mit deiner Familie. Für deine Jugendgruppe. Oder als Challenge aller Jugendlichen mit- und gegeneinander?

Lass einen Dialog mit dir selber entstehen, der Spaß macht, herausfordert, lustig ist – und auch noch weiter hilft. Lass dich retten und mach mit 🙂

Hier kommen passende Ideen für dich und deine Jugendlichen für eine ganze Woche:

Montag

Schreibe einen Brief an einen Fremden – jemanden, der beim letzten Kinobesuch in der Reihe vor dir saß, der dich mal beim Einkaufen angerempelt hat … Schreibe dieser Person von deinem Leben. Was seit eurer ersten »Begegnung« passiert ist. Wie du dein Leben lebst. Schreibe ihr, was du schon immer mal loswerden wolltest und dir auf der Seele brennt … und dann schick den Brief nicht ab 😉

Dienstag

Gestalte einen Reisetagebucheintrag von deiner Wohnung oder einem besonderen Ort in deiner Wohnung (die Kaffeemaschine, das Bett…). Schreibe so, als wärst du zum erstem Mal und zum Urlaub an diesem Ort. Was hast du da Besonderes beobachtet? Wie fühlst du dich da? Wie verhalten sich die »Ureinwohner« dieses fernen Urlaubsorts? Was lernst du über dich selbst in diesem Urlaub? Vielleicht malst du einen Lageplan dazu, was sich wo befindet, wie man von hier nach dort kommt etc.?

Mittwoch

Schließ deine Augen. Vielleicht machst du es dir gemütlich (besser vor dem Augen-Schließen). Was siehst du? Klar, erst mal ist alles dunkel. Aber wenn du richtig hinsiehst, entstehen Bilder vor deinem »inneren« Auge. Vielleicht ein Zirkusbär, ein großes Eis, eine Erinnerung (Knuddeln mit Papa, das erste eigene Auto …). Manchmal sind es auch einfach tanzende Lichtpunkte. Egal, was du siehst, schreib darüber. Beschreibe es so, dass eine Geschichte daraus wird. Solltest du lieber malen, bitte sehr.

Donnerstag

Stell dir vor, du könntest deinem Ich von vor 10 oder 20 Jahren einen Brief schreiben. Wofür würdest du gerne danken, loben, schimpfen, worüber ausrasten? Schreibe diesen Brief.

Fertig? Dann denken wir mal 10 bis 20 Jahre in die Zukunft. Was würdest du deinem Ich zu dieser Zeit gern schreiben wollen? Was möchtest du ihm sagen? Vielleicht hast du auch Fragen an dich in der Zukunft? Vielleicht schriebst du ihm auch, wie du dir das Leben für dich in der Zukunft wünscht?

Freitag

Erinnere dich einen Moment in deinem Leben, in dem du etwas getan hast, das dich so richtig zufrieden gemacht hat. Wo vielleicht Stunden wie im Flug vergangen sind. Wo du dich einfach gut und richtig gefühlt hast. Kannst du einen Song finden, der das Gefühl beschreibt, das du da hattest? Schreiben Sie über diese Erfahrung. Schreiben Sie darüber, wie man genährt wird und was das für Sie bedeutet.

Samstag

Was ist das Lustigste, was dir im letzten Jahr passiert ist? Schreibe eine Geschichte darüber – und zwar aus der Sicht eines (eigentlich) unbeteiligten Gegenstands, der dabei war. Dein Schal, dein Ohrring, eine Straßenlaterne, die Taube auf dem Dach oder der Kaktus auf dem Fensterbrett… Wie könnte sich dieses Ding an dein Erlebnis erinnern?

Sonntag

Schreibe dir selbst einen Liebesbrief: aus der Sicht eines/einer Anderen. Egal ob eine echte Person, von der du schon immer mal einen Liebesbrief bekommen wolltest, oder eine erfundene Person. Beschreibe in diesem Liebesbrief, was diese Person besonders an dir mag, was sie schön findet, weswegen sie Zeit mit dir verbringen möchte etc.

Wenn du magst, schick dir den Brief selber zu, oder öffne ihn einfach nach ein paar Wochen und ließ ihn, als wäre es wirklich ein Brief einer anderen Person an dich.

Ich gehe jetzt mal ein Gedicht schreiben

—Dein Heiko

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