Dies ist ein Transkript der Folge »Netflix's Adolescence and the rise of the youth social« des Podcasts Talking Youth Ministry

Die vierteilige Netflix-Serie Adolescence erzählt die Geschichte eines 13-jährigen Jungen, der beschuldigt wird, eine Mitschülerin getötet zu haben – und zeigt, was zu dieser schrecklichen Tat geführt haben könnte. Unsere Moderatorinnen beleuchten die Elemente der Serie, die ihnen aus ihrer eigenen Jugendarbeit nur allzu vertraut vorkommen – und sprechen offen über die Fragen und Warnsignale, die das in ihnen ausgelöst hat. Außerdem geht es um die Bedeutung von Freizeitaktivitäten und gemeinsamen Aktionen: Warum sind sie so wichtig im Alltag einer Jugendgruppe? Was bewirken sie bei Jugendlichen? Wie immer endet die Folge mit einer Runde »organisiertem Spaß«.

1. Worum geht es in der Serie?

Rachel: Für alle, die in Echtzeit zuhören: Das, worüber wir jetzt sprechen, Lucy, ist eine Netflix-Serie, die vor vier oder fünf Tagen rausgekommen ist. Viele haben also vielleicht noch gar nicht die Gelegenheit gehabt, reinzuschauen, worum es in Adolescence geht. Es ist ein neues vierteiliges Drama auf Netflix. Es ist eine Art Krimi, aber etwas komplexer. Und Lucy, ich denke, dieses Format – britisches Drama, Wer-hat’s-getan?, junge Menschen im Zentrum – das ist nicht neu. Aber bei dieser Serie ist doch etwas besonders, das sie als makelloses Fernsehen auszeichnet, also als wirklich progressiv. Denn es ist ein Format, das unsere Erzählungen über Jugendliche herausfordert – über ihre Entwicklung, was sie leisten können, was in ihnen vorgeht, was wir als Gesellschaft nicht verstehen. Kannst du uns mal einen Überblick geben: Worum geht’s in der Serie?

Lucy: Ja, gerne. Und für alle, die sagen: Ich will sie noch schauen – es gibt einige Spoiler, also vielleicht besser jetzt auf Pause drücken und die Serie schauen. Wir sprechen auch über schwere Themen – Gewalt unter Jugendlichen, belastende Geschichten. Wenn das heute nichts für dich ist: Es ist völlig in Ordnung, jetzt auszusteigen und später zurückzukommen. Aber ja – schon in der ersten Folge von Adolescence begegnet man einem Jungen namens Jamie, 13 Jahre alt. Und direkt zu Beginn erfährt man, dass er beschuldigt wird, eine Mitschülerin – ein Mädchen – getötet zu haben. Jede Folge entfaltet nach und nach die Geschichte dieses 13-Jährigen, seiner Familie, zeigt die Familiendynamik in Echtzeit: von seiner Verhaftung, sieben Monate später, 13 Monate später. Die Geschichte entfaltet sich aus der Sicht der Hauptfiguren – von der Familie bis zu den Ermittlern, Lehrern, der Schule, die der Junge besucht.

2. Warum hat er es getan?

Lucy: Aber es geht nicht um die Frage »Wer war’s?«, denn wir wissen von Anfang an: Dieser 13-Jährige hat es getan. Es geht eher um die Frage: Warum hat er es getan? Viele Interviews mit Stephen Graham und Jack Thorne, die das Drehbuch geschrieben haben, gehen genau dieser Frage nach: Warum hat der Junge das getan? Sie beleuchten Aspekte wie Schule, Politik, das Internet. Was, wenn wir aufhören zu sagen: »Die Eltern sind schuld« oder »Dieses eine traumatische Erlebnis war schuld«? Was, wenn es keine eindeutige Ursache gibt, sondern viele verschiedene Faktoren, die eine Rolle gespielt haben? Wir haben hier einen Ausschnitt, in dem Stephen Graham, einer der Produzenten von Adolescence, erzählt, was ihn inspiriert hat:

»Ich las einen Artikel über ein junges Mädchen, das von einem Jungen erstochen wurde. Und ein paar Monate später sah ich wieder eine ähnliche Geschichte in den Nachrichten. Wenn ich ehrlich bin – das hat mir das Herz gebrochen. Als Elternteil dachte ich: Was ist los mit unserer Gesellschaft? Was passiert da draußen, dass so etwas zur Normalität wird?« – Stephen Graham

Lucy: Er bezieht sich dabei auf einige reale Fälle vom letzten Jahr. Aber auch aktuell – letzte Woche war der Fall von Kyle Clifford, der seine Ex-Freundin, ihre Schwester und ihre Mutter getötet hat. Die schrecklichen Details dieses Falls waren kaum zu ertragen. Es ist wirklich eine herzzerreißende Serie. Aber ich finde, es ist auch ein wichtige Serie. Ich habe sie am Wochenende geschaut und bekomme sie seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Die Fragen, die sich dabei aufdrängen, lassen mich nicht los. Rachel, du hast sie ja gestern auch gesehen.

Rachel: Ja, ich habe sie im Schnelldurchlauf angeschaut. Ich weiß nicht, ob ich das empfehlen würde – aber für uns als Jugendleiterinnen und Jugendleiter, die sich nicht scheuen, schwere Themen anzugehen, ist es fast notwendig, die Serie durchzuschauen. Denn man schaut die Serie nicht zur Unterhaltung. Man schaut sie, um zu verstehen. Und es ist unglaublich aufschlussreich. Sie ist brillant geschrieben. Sie ist brillant gespielt und brillant gefilmt. Jede einstündige Folge ist ein einziger Kamera-Long-Take. Es gibt keinen Schnitt. Und das macht das Ganze so intensiv – man schaut quasi in Echtzeit. Und wie du sagtest, Lucy – man sieht diese verheerende Geschichte, die man kaum ertragen kann: Ein 13-Jähriger tötet eine 13-Jährige. Und das wird mit einer erschreckenden Normalität gezeigt. Ganz normale Erwachsene machen einfach ihren Job: Sie holen den Jugendlichen ab, führen ihn durchs System. Vielleicht denken Leute aus der Justiz oder Jugendhilfe: So läuft das nicht ganz. Aber als Zuschauer wirkt es sehr authentisch. Und als Jugendleiterin dachte ich: Ich kenne das. Ich erkenne diese jungen Leute. Ich erkenne dieses Zuhause. Es wirkt erschütternd normal. Und das ist das Beunruhigende: Du kannst nicht sagen »Ah, er wurde radikalisiert durch XYZ« oder »er war in dieser oder jener religiösen Gruppe« oder »er hatte dieses eine Trauma«. All das wird weggenommen, und du wirst gezwungen, zu fragen: Wenn ein ganz »normaler« junger Mensch – und jeder junge Mensch ist »normal« – an der Schnittstelle all dieser toxischen Einflüsse steht: toxische Männlichkeitsideale, Internet-Überflutung, Schulstress, unterfinanzierte Lehrer, finanzielle Sorgen – wo ist der Punkt, an dem es kippt? Und das fand ich erschreckend und augenöffnend.

Lucy: Ich glaube, wie du gesagt hast – es ist so vielschichtig. Es gibt so viele verschiedene Ebenen. Ich habe heute Morgen etwas gehört, in dem gesagt wurde, dass in jeder Episode 50 bis 100 Kommentare oder Handlungen vorkommen, die dir ein klareres Bild davon geben, warum das passiert ist. Es kann ein Kommentar eines Jugendlichen über eine andere Frau sein. Oder etwas, das du im schulischen Kontext hörst. Und das baut dieses Bild immer weiter auf. Das Drehbuch ist wirklich außergewöhnlich. Allein die Art, wie sie keine eindeutige Schuld benennen – da gibt es keine eindeutige Sache, im Sinne von: »Das ist schuld.« Wie du gesagt hast: finanzielle Sorgen, Druck in der Schule, Druck online. In der Serie gibt es einen Kommentar der Mutter, dass sie ihn manchmal nachts noch bis 1 Uhr online gesehen hat und dann nur sagte: »Mach mal das Licht aus.« Und das passiert im sichersten Raum für diesen Jugendlichen – zu Hause. Ob wir es wissen oder nicht. Und diese ganzen Nuancen, die da mitspielen.

3. Wenn Erwachsene langsam realisieren, was wirklich bei Jugendlichen los ist

Rachel: Lucy, was ich so interessant fand – ich würde gern deine Gedanken dazu hören – ist, dass wir sehen, wie sich diese Frage entfaltet: Warum hat er das getan? Und man erfährt nach und nach ein bisschen mehr darüber, was passiert ist. Aber gleichzeitig sieht man das durch die Linse von anderen Charakteren, die selbst Eltern sind. Zum Beispiel hat der Polizist einen Sohn, der auf dieselbe Schule geht. Und es gibt ein starkes Gespräch zwischen dem Sohn, der mit dem beschuldigten Jungen befreundet ist, und dem Vater. Der Sohn sagt: »Dad, ich will einfach nicht, dass du dich blamierst. Du verstehst nicht, was los ist. Es geht um die blaue und die rote Pille.« Und der Vater denkt: »Ah, das ist ein kultureller Verweis. Das ist die Matrix.« Und der Sohn sagt: »Die was?« Und für den Vater – der ja aus meiner Generation stammt – war das ein Film, der unsere Sichtweise verändert hat. Aber wir wussten: Das war ein Bild, eine Metapher. Wir wussten, es gibt keine wirkliche rote und blaue Pille. Aber der Sohn sagt: »Nein, nein, du verstehst nicht, was das bedeutet. Was diese Emojis bedeuten. Was diese Codes bedeuten. Was diese Sprache bedeutet.« Und das ist der Moment, in dem der Vater merkt: »Oh … ich habe keine Ahnung.« Ich denke, viele von uns, die diesen Podcast hören, sind Jugendleiterinnen und Jugendleiter. Und vielleicht denken wir nicht direkt: »Was? Jugendliche tun sowas?« Aber es vermittelt schon das Gefühl: Hast du das auch mitbekommen in der Gesellschaft – dass Erwachsene langsam realisieren, was wirklich bei Jugendlichen los ist?

Lucy: Ja, ich würde sagen, dass die meisten Erwachsenen in der Serie diesen Moment haben – wie ein Blitz – so ein: »Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutet.« Oder: »Ich wusste nicht, dass sie das tun.« Oder: »Ich wusste nicht, wo sie waren.«

Rachel: Und das sind Erwachsene, die eigentlich nah dran sind an den Jugendlichen – Lehrer, Polizei, Eltern. Und das ist das Beängstigende, oder?

Lucy: Ja – das sind Menschen, bei denen man denken würde: »Natürlich weißt du, was das bedeutet.« Oder: »Natürlich weißt du, was sie da tun.« Es gibt zum Beispiel Instagram-Bilder, die mehrfach gezeigt werden. Und der Sohn sagt: »Dad, du hast keine Ahnung. Du denkst, das bedeutet dies, aber in Wirklichkeit meint der Jugendliche damit das.« Und du siehst diesen Aha-Moment beim Polizisten: »Wow. Jetzt verstehe ich, warum das passiert ist.« Aber der Sohn sagt: »Nein, nicht unbedingt, weil er gemobbt wurde – sondern auch, weil er…« Und dann kommen all diese Stränge zusammen: die Psychologin, der Polizist, die Lehrerin, die Mutter, der Vater – alle merken: »Ich hatte keine Ahnung.« Da ist so viel Graubereich, den sie nicht mal bemerkt haben. Und all das summiert sich zu dieser einen Tat.

Rachel: Und das ist so clever, oder? Ich finde, allein den Titel Adolescence zu wählen, ist clever – weil es natürlich um Teenager geht, aber auch um die Lebensphase der Adoleszenz. Wir wissen als Jugendleiterinnen und Jugendleiter: Adoleszenz bedeutet emotionale Ablösung vom Elternhaus, Identitätsfindung. Und genau das sehen wir: Jugendliche, die sagen »Ich brauche keine Erwachsenen, ich brauche meine Freunde.« Sie sind von Erwachsenen umgeben, die denken, sie hätten alles unter Kontrolle – aber die Jugendlichen erschaffen ihre eigene Welt. Und sie machen genau das, was ihre Entwicklung vorgibt: Sie sagen, »Wir machen das allein.« Aber gleichzeitig merken wir: Sie sind damit überfordert. Sie sind nicht sicher dabei. Weil die Themen, mit denen sie konfrontiert sind – toxische Ideologien, wie 80-20, Online-Druck, gesellschaftlicher Stress – viel zu groß sind, die zu viel für jeden Menschen sind, nicht nur für Teenager. Und du siehst diesen Entwicklungsprozess – den wir als Jugendleiterinnen und Jugendleiter begleiten dürfen, weil Gott uns in diesen Raum gestellt hat – aber du siehst auch, was passiert, wenn Erwachsene zwar da sind, aber nicht wirklich da sind. Jugendliche brauchen sie, aber sie wollen sie nicht. »Ich will dich nicht in meinem Leben, aber ich brauche dich. Ich brauche dich, um mich zu umarmen, um mich zu lieben, um vor dir zu weinen, um ein echter Mann oder eine echte Frau zu sein – was auch immer das bedeutet.« Aber gleichzeitig stoßen sie dich weg: »Nein, das ist unsere Welt.« Und dieser innere Konflikt – dieses Hin und Her…

Lucy: Ja, dieser Push-and-Pull. Ich war gestern in einer Schulung, und da wurde gesagt, dass die Amygdala erst mit 25 vollständig entwickelt ist. Also alle Jugendlichen, mit denen wir arbeiten – ich habe mit 16- bis 24-Jährigen gearbeitet – die sollen riesige Lebensentscheidungen treffen. Aber eigentlich werden sie irrational handeln, weil sie neurobiologisch noch gar keine Erwachsenen sind. Und wir reden von 25-Jährigen. Und dann rechnen wir 12 Jahre zurück – und das ist das Alter von dem Jugendlichen in der Serie. Und alle Augen sind auf ihn gerichtet. Und ja, es gibt dieses Push-and-Pull. Zum Beispiel zwischen dem Polizisten und seinem Sohn – der sagt: »Dad, ich will dir was sagen.« Aber gleichzeitig: »Ich will nicht mit dir nach Hause fahren.« Aber dann sagt er doch: »Okay, wir holen zusammen Fish and Chips.« Und dann die Lehrerin, die mit der besten Freundin des ermordeten Mädchens spricht. Sie versucht ihr Bestes, präsent zu sein und zuzuhören. Man gewinnt den Eindruck, sie connected. Doch dann rastet die Schülerin aus und verlässt den Raum. Die Lehrerin ruft ihr nach. Aber das Mädchen hat für sich entschieden, dass sie sich jetzt entfernen muss. Dieser Push-and-Pull zieht sich durch jede Beziehung.

Rachel: Es ist einfach brillant. Aber – wie gehen wir jetzt damit um als Jugendleiterinnen und Jugendleiter? Wenn so etwas das kulturelle Bewusstsein trifft – viele Menschen schauen es und fühlen sich belastet. Und ich glaube, das soll es auch. Aber wie reagieren wir darauf? Was können wir tun?

4. Wie reagieren wir darauf? Was können wir tun?

Lucy: Das ist eine großartige Frage. Ich war vor ein paar Wochen ziemlich frustriert. Ich interessiere mich sehr für Forschung und dafür, was es an Trainings und Ressourcen über Gewalt gegen junge Frauen und Mädchen gibt. Ich habe sogar in meiner Freundesgruppe geschrieben, dass ich bei einem Zoom-Webinar dazu teilnehmen werde – und das sind alles ziemlich progressive junge Christen, und ich dachte: »Super, meine Leute sind auch dabei.« Und dann saß ich da... und niemand war da. Und ich glaube, da war diese Frustration in mir, weil ich dachte: Wir sehen diese Dinge doch immer und immer wieder. Und beim Abendessen gestern mit ein paar Freunden war plötzlich da dieses Bewusstsein: »Oh, das betrifft ja wirklich die jungen Leute, die ich in der Schule unterrichte.« Eine Freundin sagte: »Ich habe mittlerweile Angst vor Grundschulkindern.« Und ja – es beginnt ein Gespräch bei Menschen, die vorher nicht Teil davon waren. Vielleicht denken wir – du, Rachel, ich und unsere Zuhörer –: »Wow, das ist heftig.« Aber gleichzeitig sind wir von den Themen gar nicht so überrascht. Deswegen glaube ich, dass es etwas Gutes ist, dass diese Serie geschaffen wurde und Leute sich fragen: »Was ist mein Anteil daran?« und »Was kann ich tun?« Es gibt einige großartige Organisationen. Eine davon ist Beyond Equality – die arbeiten mit jungen Männern und Frauen. Sie setzen sich mit Themen wie Macht, Privilegien und Verbündetsein auseinander und rüsten Jugendleiterinnen und Jugendleiter, Lehrkräfte und andere Interessierte aus. Ich folge ihnen auf Instagram – sie haben am Tag des Serienstarts ein Panelgespräch mit Cast & Crew von Adolescence gemacht. Und ich denke, für uns als Jugendleiterinnen und Jugendleiter – etwas, was mich immer wieder begeistert, ist unsere Fähigkeit zur Empathie. Und wo auch immer wir jungen Leuten helfen können, diese Fähigkeit zu entwickeln – das ist keine, die sie unbedingt online oder in ihrer Clique lernen, oder die ihre Mutter ihnen beibringt. Aber das ist ein Geschenk, das wir haben – Empathie. Und mit jungen Leuten empathisch zu sein – das ist wertvoll. Da, wo Gemeinschaftsräume entstehen – wir reden gleich noch über Freizeitaktivitäten – da können wir Jugendlichen helfen, herauszufinden: Was ist meine Rolle hier? Wie kann ich mitfühlen, mit anderen? Das ist eine enorm wichtige Fähigkeit. Und es fühlt sich an, als fehle sie in dieser Gesellschaft voller lauter Einzelstimmen. Das ist ein wunderschönes Geschenk, das wir weitergeben können – jungen Leuten zu helfen, Empathie zu lernen. Es gibt ein Zitat von Dallas Willard – eines der Dinge, über die er spricht, ist:

Wir haben kein globales Problem, wir haben ein Nachbarschaftsproblem. Und ich denke, wir sind dazu aufgerufen, unseren Nächsten zu lieben. – Dallas Willard

Also ist unsere Aufgabe als Jugendleiterinnen und Jugendleiter, jungen Leuten zu helfen, zu erkennen: Wenn so viele Stimmen auf dich einprasseln – wie kannst du trotzdem ein guter Nachbar sein? Wie kannst du mitfühlen mit jemandem aus deiner Community, der anders ist als du? Wenn die lauten Stimmen sagen: Wähle Wut, wähle Härte – dann können wir sagen: Nein, wir wählen Empathie. Wir wählen Neugier. Wir bauen Gemeinschaft. Und wir lieben unseren Nächsten. Denn das ist unser Auftrag.

Rachel: Das ist wirklich wunderbar, Lucy. Und es bedeutet auch: Wir verschließen uns nicht vor dem Unbequemen. Ich würde noch ergänzen: Wenn du kannst – schau dir die Serie an und sprich mit jemandem darüber. Du wirst nichts Grausames oder Explizites sehen, aber die Gespräche sind tief schmerzhaft.

Und ich sage es noch einmal: Riesiger Respekt vor diesen jungen Schauspielern. Vieles war improvisiert, und ich glaube, sie haben sehr viel von sich selbst eingebracht. Und Spoiler – ganz am Ende sitzt der Vater im Zimmer seines Sohnes und weint und sagt: Es tut mir leid, mein Sohn. Und in diesem Moment hatte ich so ein tiefes Seufzen im Herzen. Ich habe auch ein bisschen geweint. Und ich habe – als über 40-jährige Frau, die schon lange Jugendleiterin ist – einfach gesagt: Gott, es tut mir leid. Es tut mir leid für die Male, in denen Menschen meiner Generation – ich selbst eingeschlossen – jungen Leuten diese Welt überlassen haben. Wir haben sie mit etwas allein gelassen, das sie nicht geschaffen haben. Und es tut mir leid, dass mein erster Impuls oft war: Was stimmt mit denen nicht? Was können sie tun, um sich zu ändern? – statt zu fragen: Was ist meine Verantwortung? Wie kann ich zuhören und sie stärken? Es gibt so viele Möglichkeiten zu reagieren. Also: Wenn du kannst, schau dir die Serie an. Sprich mit jemandem darüber. Und bete. Das ist so wichtig. Du kannst die Serie auf Netflix schauen – sie ist ganz neu. Und wie Lucy gesagt hat – hör rein in Interviews mit den Produzenten. Setz dich damit auseinander, was sie motiviert hat, diese Serie zu schreiben. Und fokussiere dich auf die positive Message dahinter.

5. Warum Freizeitaktivitäten ein Schlüssel sind

Lucy: Wir reden jetzt darüber, wie du, Rachel, gesagt hast, wie wir Freizeitaktionen wieder großartig machen können. Erzähl uns mal, was dein Gedanke dahinter war.

Rachel: Mir ist bewusst, dass das eine ziemlich provokante Aussage ist, denn viele denken vielleicht: »Meine Freizeitaktionen sind großartig – danke auch!« Ich wollte damit nur sagen: Ich liebe Freizeitaktionen. Vor etwa zehn Jahren war meine Erfahrung: Eine Aktion war so eine Art Belohnung, wenn Jugendliche fleißig zum langweiligen Kram gekommen sind – dann gab’s mal was Cooles. Ich bin sicher, dass niemand, der das hier hört, so denkt – aber so war’s damals oft. Und seit ich in Blackburn arbeite – und wir hier etwas völlig Neues aufbauen, mit Jugendlichen, die uns nicht kennen – mussten wir uns das Vertrauen hart erarbeiten. Und da sind Freizeitaktionen, einfach gemeinsame Zeit entscheidend geworden. Eigentlich machen wir fast nur das: sichere Räume, spaßige Räume, Orte zum Abhängen schaffen. So wie du gesagt hast, Lucy: Orte, wo die Masken fallen, wo kein Leistungsdruck herrscht. Wo junge Leute einfach sie selbst sein können. Ich sprach neulich mit einem Pastor, der gern einen Jugendleiter einstellen möchte. Ich fragte: »Was stellst du dir vor, was diese Person tun soll?« Und er sagte ganz tolle Dinge: Bibelarbeiten, Bibelstudien, Bibelstunden… super. Ich bin ja auch total pro Bibel. Und am Ende fragte ich: »Und irgendwas mit Spaß?« Ich weiß: Die Bibel kann auch Spaß machen. Aber ich dachte: Vielleicht müssen wir den Wert von Aktionen wieder neu schätzen. Vielleicht sind sie ein heiliger Teil unseres Auftrags. Diese Räume – auch wenn sie voller Luftschlangen und Slushies sind – sind heilige Räume. Deshalb dachte ich: Lass uns über Freizeitaktionen reden. Ich habe dich darauf nicht vorbereitet, Lucy – aber was war die letzte gute Aktion oder ein Event, das du gemacht hast? Irgendwas Spontanes – zum Beispiel, ihr wart alle auf einem Parkplatz vor einer Session und habt dann spontan was gespielt? Oder eine geplante Aktion?

Lucy: Eines meiner liebsten Events war eine Nerf-Gun-Schlacht.

Rachel: Oh, ich liebe es!

Lucy: In der Kirche. Und wir haben gar nicht mal so viele Nerf-Guns, aber eine Nachbargemeinde hat einen ganzen Haufen. Also haben sie uns ihre Nerf-Guns geliehen. Wir finden heute noch diese Nerf-Pfeile an den unterschiedlichsten Stellen in unserer Kirche. Und ich dachte vorher so ganz klischeehaft: Wahrscheinlich werden die Jüngeren das cool finden. Vielleicht sind sie die, die richtig mitmachen. Aber nein – es waren die 16- bis 18-Jährigen, die sagten: Wir sind bereit. Wir meinen es ernst. Wir wollen gewinnen. Und das Coole war: Es kam auch noch lauter Nerf-Merchandise mit, den man anziehen konnte. Und ich dachte: Das ist ja super speziell. Ja, ich hab’s geliebt. Ich glaube, ein gewisser Geruch hängt immer noch in unserem Kirchengebäude… Aber das war’s wert. Und ganz aktuell hat unser Jugendleiter – ich war leider nicht dabei – ein Live-Event von Among Us organisiert. Das war mein Go-To-Online-Spiel während Corona. Und sie haben es in Echtzeit gespielt – als Live-Spiel – und ich dachte: Was für ein Throwback! Und es funktioniert immer noch! Und bei dir, Rachel?

Rachel: Das letzte Event war letzten Freitag: Schoko-Bingo. Und es klingt, als dürfte das eigentlich nicht funktionieren – aber es hat total funktioniert. Die Jugendlichen waren total konzentriert. Alle wollten ihre Nummern abhaken, Schokolade gewinnen – sie kamen mit Haufenweise Süßkram zurück. Es war großartig. Also: Schoko-Bingo – für alle, die es nicht kennen – das ist ganz klassisches Bingo. Eine Zahl wird aufgerufen, man hat seine Karte, streicht sie durch – und wer zuerst alle hat, gewinnt. Du würdest denken: Das ist was für Großeltern, 97 Jahre alt. Aber nein – hier in Blackburn: Teenager sind voll dabei. Also, eine Freizeitaktivität unterscheidet sich vielleicht von einer regulären Gruppenstunde dadurch, dass es was Besonderes ist. Vielleicht plant man, mit der Gruppe bouldern zu gehen. Oder man sagt: Kommt in die Jugendräume, ins Gemeindehaus, oder wir treffen uns da und da – und gehen eine große Runde spazieren. Natürlich mit Einverständniserklärungen und Notfallzetteln, damit man weiß, wen man mitnimmt, und dass das Team klar ist.

Aber das Ziel ist: Raum zu schaffen, um Beziehungen zu vertiefen. Soft Skills zu stärken. Einen inklusiven Rahmen zu schaffen. Etwas zu machen, bei dem alle mitkönnen. Vielleicht ist es auch etwas, das sie herausfordert – aus ihrer Komfortzone holt. Und man lernt sich neu kennen.

Und während ich hier in Blackburn war und eine Jugendarbeit von null an aufbaue, habe ich gemerkt: Freizeitaktionen sind für mich ganz oben auf der Prioritätenliste. Denn es geht um eine Vertrauenskultur. Es geht um das Prinzip: Wir gehen im Tempo des Vertrauens. Und nichts zeigt mir so sehr, dass die Familien und Jugendlichen hier uns vertrauen, wie die Tatsache, dass sie sich uns anvertrauen, wenn wir mit ihnen z. B. in den Kletterwald gehen oder nach Blackpool ins Freizeitbad fahren. Also ist das für mich wie ein kleines Barometer: Vertrauen wir uns gegenseitig? Haben wir eine gute Gruppenverbindung? Ich hab drei kleine Punkte dazu – und Lucy, du kennst mich: Ich sage gern »ABC« oder »1, 2, 3«… und dann halte ich mich nicht dran.

Lucy: Okay, ich versuche, dich auf Kurs zu halten!

Rachel: Also ...

  1. Punkt eins: Es geht um Vertrauenskultur. Man erkennt daran, wie die Dynamik in der Gruppe ist: Wer hängt mit wem ab? Wie interagieren die Ehrenamtlichen mit den Jugendlichen? Was begeistert diese Gruppe? Bei Ausflügen und Freizeiten gehen diese Beziehungen plötzlich viel schneller in die Tiefe. Und dadurch werden Gespräche über Glauben oder die Vorstellung, im Sommer mal mit auf eine Freizeit zu fahren, viel realistischer – weil die Verbindung da ist.
  2. Punkt zwei: Es geht um Inklusion und Zugehörigkeit. Ich erlebe oft, wenn ich mit einer neuen Gruppe arbeite – z. B. in einem Drop-in oder bei Youth Alpha – dass das Gefühl von »Wir gehören zusammen« durch gemeinsame Ausflüge entsteht. Wenn man einfach zusammen unterwegs ist, wird klar: Das hier ist unsere Gruppe. Und das ist besonders kraftvoll für Jugendliche, die sonst nirgends dazugehören – kein Sportverein, keine AG, keine Möglichkeit wegen Geld, sich was zu leisten. Plötzlich sind sie Teil dieser lauten, lustigen, coolen Gruppe – und das ist unglaublich stärkend: Ich gehöre dazu. Das sind meine Leute.
  3. Und Punkt drei – da bin ich gespannt, was du dazu sagst, Lucy –: Es geht um Fähigkeiten. Eine Frage, die wir uns hier stellen, ist: Wenn du ein Jugendlicher in einer sozial benachteiligten Gegend bist – welche Fähigkeiten verpasst du vielleicht, weil du keinen Zugang hast? Kein Musikunterricht. Keine Tanz-AG. Kein Fitnessstudio. Also überlegen wir: Was sind Dinge, die sie sonst nicht erleben würden? Klettern. Kajakfahren. Bouldern. Und wir versuchen, das gezielt einzubauen.

Lucy: Das ist cool! Ich habe noch nie über den Aspekt »Fähigkeiten« nachgedacht – das ergibt voll Sinn. Ich mache mir gleich Notizen: Skills! Denn auch für manche Jugendliche ist es einfach nur wertvoll, mit anderen zusammen zu sein. Zu merken: Okay, das sagt man lieber nicht. Oder: Ich werde hier gesehen. Ich werde wertgeschätzt. Ich erinnere mich, dass mal jemand sagte: Jugendleiterinnen und Jugendleiter sind wie Tanten und Onkel. Und ich glaube, da gibt’s auch Schwächen in diesem Vergleich – aber die Idee war: Wir sind diese »sicheren Personen«, aber auch die, mit denen man Spaß hat. Und Freizeitaktionen bringen genau diese andere Seite rein: Ich bin auch der Mensch, der Spaß hat. Nicht nur die Sonntagspredigerin oder die moralische Stimme, wenn du Mist gebaut hast. Nein – ich bin auch die, mit der du lachen kannst. Und irgendwie fühlt es sich an wie ein Gegenmittel zu all diesen destruktiven Stimmen, über die wir eben gesprochen haben. Der Raum, in dem man einfach lachen darf, sich nicht so ernst nehmen muss – und dabei etwas lernt, ohne dass jemand es dir aufdrängt.

Rachel: Und ich glaube, wenn wir »Spaß« sagen, klingt das schnell so, als müssten wir die Jugendlichen unterhalten oder als müssten wir zeigen, dass wir cool sind. Aber das meine ich gar nicht. Wenn ich »Spaß« sage, meine ich: Räume ohne Druck. Kein Zwang, irgendwas zu leisten. Einfach nur: Sei du selbst. Und ich glaube, das ist Teil des göttlichen Bildes im Menschen. Wir sind alle dafür gemacht, Freude zu bringen. Aber junge Menschen leben oft in so einem Leistungsdruck – dass dieser Teil unterdrückt wird. Und wenn du dann einen Raum schaffst, in dem sie einfach im Wald spazieren gehen und Lagerfeuer machen – wirst du überrascht sein, wie anders sie auf einmal drauf sind. Wie sie aufblühen. Und ich würde sagen: Mach dir keinen Stress, wenn du denkst: Ich bin nicht der spaßige Jugendleiter. Ich glaube: Wenn du das denkst, bist du es wahrscheinlich doch. Mach dir keinen Kopf. Es geht um das, was ihr gemeinsam gestaltet.

6. Bibel oder KI? Das neue Spiel für deine Jugendgruppe

Lucy: Und – um das Ganze abzurunden – machen wir jetzt noch unser eigenes Organized Fun. Also, das Spiel geht so: Ich lese dir Sätze vor, und du musst raten, ob sie aus der Bibel stammen…oder aus ChatGPT. Bist du bereit? Also, erste Aussage: »Und du sollst es wie einen Gerstenkuchen essen, gebacken vor ihren Augen über einem Feuer aus Menschenkot.«

Rachel: Das klingt nach etwas, das einer dieser uralten Propheten sagen würde – so nach dem Motto: Echt jetzt? Total typischer Prophetenkram. Ich sage … KI. Weil das mit dem Kot ist vielleicht doch zu heftig. Klingt nach was, das KI sich ausdenkt, oder?

Lucy: Das stimmt, es hört sich heftig an. Aber leider ist deine Antwort falsch. Es steht in Hesekiel. Hesekiel 4.

Rachel: Oh! Notiz an mich selbst: Keine Kuchen mehr backen.

Lucy: Okay, nächste Aussage: »Und der Faule spricht in seinem Herzen: Morgen werde ich früh aufstehen und arbeiten. Doch wenn der Morgen kommt, wendet er sich auf seinem Bett wie eine Tür an ihren Angeln, und siehe, nichts ist getan.«

Rachel: Oh wow. Nein, das ist KI. Das klingt sehr nach ChatGPT.

Lucy: Korrekt! Das ist Prokrastinationen 12,9.

Rachel: Sehr schön!

Lucy: Nächste Aussage: »Verflucht sei der Mann, der barfuß durch die dornige Wüste geht, denn seine Füße werden gestochen und sein Geist wird gequält. Gesegnet sei der Mann, der mit Sandalen wandelt, denn seine Reise wird angenehm und seine Sohlen unversehrt sein.«

Rachel: Definitiv KI. Ich weiß nicht warum, aber mein Geist sagt einfach: Das ist KI.

Lucy: Wow.

Rachel: Ja – nein, das ist auf jeden Fall KI.

Lucy: Ja, das Wort »gequält« verrät es.

Rachel: Und außerdem: Sandalen? Und »unversehrte Sohlen«? Auf jeden Fall KI.

Lucy: Okay, als Nächstes: »Besser ist es, auf dem Dach in einer Ecke zu wohnen, als mit einer zänkischen Frau das ganze Haus zu teilen.«

Rachel: Haha, ja. Rachel Held Evans – meine absolute Heldin – hat ein ganzes Buch auf diesem Vers aufgebaut. Das ist ganz klar Bibel.

Lucy: Richtig – ist aus der Bibel. Du bist zu gut in diesem Spiel. Okay, weiter geht’s: »Die Gerechten werden sich freuen, wenn sie Rache üben dürfen, wenn sie ihre Füße im Blut der Gottlosen baden.«

Rachel: Wieder Füße! So viel Füße! Das ist doch bestimmt KI. Ich meine – man soll sein Herz im Strom des Lebens baden, oder?

Lucy: Es ist tatsächlich Bibel.

Rachel: Oh nein – ich muss also meine Füße in Blut baden? Das wusste ich nicht…

Lucy: Eine Überraschung für uns alle. Psalm 58, Vers 10. Okay, noch zwei mehr: »Siehe, der Mann, der sich weigert, sein Brot zu teilen, wird von Raben seines Mahles beraubt, und sein Becher wird seltsam leer sein. Doch der, der freigiebig gibt, sogar bis zum letzten Bissen, dessen Vorratskammer wird voll sein und sein Käse schimmelfrei.«

Rachel: Das ist definitiv KI. Wer hat denn in der Bibel von Käse gesprochen?

Lucy: Sie haben den Käse »schimmelfrei« – das ist mal eine Metapher!

Rachel: Die haben sicher Käse in der Bibel gegessen, aber ich kann mich an keine Bibelstelle mit Käse erinnern. Also: KI, ganz sicher.

Lucy: Letzter Vers: »Jeder Kopf ist kahl, jeder Bart abgeschnitten, jede Hand verwundet, jede Hüfte mit Sackleinen umgürtet.«

Rachel: Ich weiß es! Bibel! Auf jeden Fall. Diese typischen Terror-Texte.

Lucy: Ganz genau – das ist Bibel! Gute Arbeit. Und hoffentlich hast du damit ein neues Spiel, das du mit deinen Jugendlichen ausprobieren kannst.

Rachel: Ich sehe es schon: Entweder alle stürzen sich in die Bibel… oder sie laufen schreiend davon.

Lucy: Eins von beidem!

Rachel: Ich liebe es. Und das heißt, wir müssen definitiv das Spiel Taylor Swift oder Klagelieder bald machen – das klingt einfach zu gut. So – wie Martin sagen würde, wenn er hier wäre: Das war eine Episode. Wir haben ein wirklich weites Spektrum an Themen besprochen. Wenn ihr Gedanken zu Adolescence habt – schickt sie uns. Wir würden super gerne weitere Themen aufgreifen, die wir heute nicht besprechen konnten. Möge die Bibel – und nicht die Absurditäten der KI – euer Wegweiser in dieser Woche sein. Bis nächste Woche!

Dieser Podcast wurde zuerst von Youthscape veröffentlicht. Deutsche Version von Esther Penner.

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