Kerzenschein. Ein Song von Ed Sheeran im Hintergrund. Mein Crush (= Schwarm) sitzt vor mir. Die Augen glänzen erwartungsvoll. Der Moment ist perfekt. Die Gefühle sind bereit, sich zu offenbaren. Aber was sage ich jetzt? »Ich liebe dich«? »Kannst du dir eine Beziehung mit mir vorstellen«? »Ich würde mich freuen, wenn wir zusammen sind«? In diesem Augenblick klingt alles unpassend. Und was ist, wenn ich abgelehnt und ausgelacht werde? Liegt es an meinen Haaren oder an meinem Shirt? Verlieren wir nicht die großartige Freundschaft, die wir haben?

Zeitschrift - EINANDER FINDEN - NR. 93 - Weisses Kreuz
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Beziehung anbahnen - Partnerschaft entwickeln - Mit Alleinsein umgehen

Das mögen nur ein paar Gedanken sein, die einem in solch einer Situation durch den Kopf gehen. Noch vor allen Fragen über Sex vor der Ehe, Homosexualität oder Stellungen beim Geschlechtsverkehr, begegnen mir in Jugendkreisen eher folgende Fragen:

  • Muss mein Partner Christ sein?
  • Wann bin ich bereit für eine Beziehung?
  • Dürfen Eltern eine Beziehung verbieten?
  • Woher weiß ich, dass mein Crush auch in mich verliebt ist?
  • Wie früh kann man seine wahre Liebe finden?
  • Letztens im Gottesdienst hat er mir auffällig zugewunken und verhält sich in meiner Gegenwart auffällig. Zum Abschied umarmt er mich immer. Hat das etwas zu bedeuten?

Das jugendliche Interesse bei allen Themen rund um Partnerschaft scheint, verglichen mit einem Langstreckenflug, weniger beim Ziel oder dem Komfort während des Fluges, sondern eher bei der sorgfältigen Wahl der Fluglinie, den Begrüßungsworten an das Flugpersonal beim Boarding und dem sichersten Verhalten beim Start des Flugzeuges zu liegen. Spannender als Beziehungsgestaltung oder angestrebte Ehe sind

  • die Wahl des oder der »Richtigen«,
  • sicheres Deuten von Signalen des Schwarmes und
  • das Überwinden von inneren Hürden für den Beziehungsbeginn.

Da die meisten jugendlichen Beziehungen im Alter von 16 Jahren beginnen[1] sind genau diese Fragen auch verständlich. Die mit Abstand am häufigsten gestellte Frage aber lautet:

Warum ist das so kompliziert?

Selbst der Schreiber in Sprüche 30, 19 sagt: Drei Dinge erstaunen mich (Adlerflug, Fortbewegung einer Schlange, Schiffs-Navigation auf offener See), aber die Sache mit der Liebe zwischen Mann und Frau ist mir unbegreiflich. Es bleibt wohl über die Jahrtausende mehr im Verborgenen, als wir in Sachen Liebe wissen können.

In unserem Herzen spüren wir eine Kraft, die uns wie ein Magnet zu anderen Menschen hinzieht und die stark und stärker wird, je näher uns jemand kommt. Wir Menschen sind beziehungsbedürftig geschaffen – von IHM, dessen Wesen selbst Beziehung ist. IHM ist unsere Seele gleichgestaltet. ER, der sich selbst nach inniger Beziehung mit uns sehnt, hat diesen Sehnsuchts-Magneten in uns geschaffen, sodass wir nach Ergänzung im Anderen suchen. Wonach ich mich am meisten sehne, kann ich mir selbst nicht geben. In der Partnersuche spüren Jugendliche diese Sehnsucht wohl zum ersten Mal in ihrem Leben so konkret mit der Fähigkeit, ihr Inneres und Äußeres dabei zu reflektieren.

Wieso kann diese beglückende Sehnsuchts-Kraft nach Beziehung gleichzeitig als leidvoll erlebt werden? Zurückweisung, unerwiderte Gefühle, Unsicherheit, Bloßstellung vor den Peers, Zusammenkommen und Trennen, Liebeskummer, Eifersucht usw. sind dabei nur einige Beispiele. Weshalb zeigt mir Gott nicht in aller Klarheit meine große Liebe und umgekehrt auch mich meiner großen Liebe? Würde das nicht so vieles vereinfachen? So verlockend diese Idee auch klingt, so sehr verfehlt sie zwei entscheidende Punkte:

#1 Ohne Spannung keine Partnerfindung

Spannung ist in der Schöpfung angelegt: Tag-Nacht, Sommer-Winter, Leben-Tod – ja sogar bis hinein ins kleinste Atom (plus-minus). Ohne Verlust gibt es keinen Gewinn: Ich muss Optionen suspendieren, um andere überhaupt zu haben. So musst du zu allen Frauen der Welt »nein« sagen, um echte, treue, tiefe partnerschaftliche Beziehung zu der einen Frau zu leben.

»Wenn du willst, kannst du alles haben« ist die Lüge eines auf Konsum fixierten kapitalistischen Wirtschaftssystems, die spätestens an der Realität von Beziehungen scheitert.

Ohne das Risiko einer Verletzung durch einen Korb gibt es keine Chance auf einen Beziehungs-Start. Ohne Verletzlichkeit keine Liebe. Diese Spannung aufzulösen, raubt der Partnerfindung ihr Wesen.

#2 Partnersuche ist ein Entwicklungs-Booster

Die Partnersuche kann ein wichtiger Baustein in der Entwicklung der eigenen Identität sein. Allein die Tatsache, dass die Pubertät oft auch das Interesse an Liebesbeziehungen weckt, deutet darauf hin: Der Körper scheint den Geist absichtlich an solche Orte zu führen, wo er Verletzungen riskiert, weil er sich größte Wachstumschancen verspricht.

Die Partnerfindung dient der Identitätsentwicklung. Rücksichtnahme und Verantwortung für jemanden außer mir selbst, lässt reifen.

Der Entwicklungspsychologe Klaus Hurrelmann beschreibt es so: Identität ist der Prozess, das »Innere« und das »Äußere« in Einklang zu bringen. Wir entwickeln uns so, wie es uns unser Inneres ermöglicht. Gleichzeitig wollen wir in unsere äußere Umgebung passen und dazugehören. Kaum ein Prozess fordert so viel Selbstbewusstsein (inneres) und Kommunikationskompetenz (äußeres) wie die Partnersuche. Jeder Versuch, »es seinem Crush zu sagen« ist dabei schon ein Erfolg, denn er hat den Prozess der Identitätsentwicklung bereits in Gang gesetzt. Erfolg oder Misserfolg des Versuchs entscheiden dann lediglich noch über die zukünftige Motivation, wieder in den Ring zu steigen – nicht aber über erfolgte oder nichterfolgte Entwicklung. Gleichzeitig können Ablehnungen im äußeren (»Ich will nicht dein Partner sein.«) als Ablehnung des inneren (»Du bist keine liebenswerte Identität.«) interpretiert werden. Manche ablehnende Haltung gegenüber Partnerschaft oder Ehe lässt hier emotionales Narbengewebe vermuten.

Jeder Versuch, »es seinem Crush zu sagen« ist dabei schon ein Erfolg, denn er hat den Prozess der Identitätsentwicklung bereits in Gang gesetzt. Foto unsplash+

Wie können Erwachsene Jugendliche in all diesen Fragen unterstützen? Welche unbewussten Klimabedingungen in Familie oder Gemeinde begünstigen mutige, reife und selbstbestimmte Entscheidungsprozesse in der Partnersuche?

Günstige und ungünstige Klimabedingungen

Günstige Klimabedingungen Ungünstige Klimabedingungen
Auf neue Beziehungen wird mit großer Freude und verschiedenen passenden Angeboten der Begleitung/ des Coachings reagiert. Paare fühlen sich wahrgenommen, ermutigt und auf ihrem Weg begleitet. Als Illustrationen für Sünde werden oft Beispiele aus dem Themenfeld Partnerschaft und Sexualität verwendet. Dadurch werden innere Warnschilder aufgestellt, die mehr auf die Gefahr des Absturzes hinweisen als Vorfreude auf den Ausblick am Gipfel wecken. Eine Kultur, die junge Paare unterschwellig unter Generalverdacht stellt, sexuell »zügellos« zu sein, schadet.
Singles sind sowohl räumlich (Angebote, Treffpunkte, …) als auch inhaltlich (Predigtthemen, Lebenszeugnisse) im Blick. Beide Lebenswelten (Singles und Paare) werden nicht aufgrund ihrer Bedürftigkeit unterstützt, sondern aufgrund ihrer Stärken eingesetzt. Was kann nur ein Single für Paare/ Familien bieten? Was können nur Paare/ Familien für Singles bieten? Ehe(vorbereitungs)-Seminare, Familienarbeit, Kinderangebote, Familienfreizeiten, … Der alleinige Fokus bei Angeboten und aller Planung liegt auf Ehepaaren, Familien und Kindern. Singles fühlen sich beständig unvollständig, da ihre Lebenswelt schlicht nicht vorkommt und sie immer wieder vor Augen gehalten oder von anderen Paaren unreflektiert vorgeführt bekommen, was sie (noch) nicht sind oder haben. Single-sein als biblische Lebensweise kommt nicht vor und wird ausgeblendet.
Neben geschlechtergetrennten Angeboten im Sinne eines Gesprächs-Schutzraumes werden auch klassisch-gegengeschlechtlich Interessen integriert und können wertfrei gelebt werden. Geschlechter-Stereotype werden betont und bedient, indem es »Männergrillabende« und »Männer-Biertastings« oder »Frauen-Kreativnachmittage« und »Frauen-Wellnessabende« gibt. Menschen zwischen diesen Interessens-Schubladen finden keinen Platz und fühlen sich nicht als echte Frau oder echter Mann im Sinne ihres Umfeldes.
Ohne Ausnahme wird auf eine ethisch-einwandfreie Kommunikation geachtet. Kleinen Anzeichen für Klatsch und Tratsch werden liebevoll angesprochen und eine Kultur der Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit mit sich selbst verstärkt. Auf Schwäche wird mit Gebet, Ermutigung und Unterstützung geantwortet und mit sensiblen Informationen wird noch sensibler umgegangen. Gemeinde und Familie ist ein Gossip-Raum, indem über Paarbeziehungen, Predigten aber auch Leitungsentscheidungen teils im frommen Gewand »nur fürs Gebet« ausgiebig getratscht wird. Gerüchte, Zweifel und Anrüchiges machen schnell die Runde, ohne dass Betroffene anwesend sind oder Entscheidungsträger sich erklären könnten. Kommuniziert wird viel »über« als »mit«. In solch einer Kultur wird viel gesprochen, aber auch weniger ehrlich, da jeder fürchtet, selbst zum Thema zu werden. Schwäche zeigen ist ein Nachteil.
»Einen fröhlichen Geber hat Gott gern« (2. Kor. 9, 7) Ohne Bitterkeit, sondern mit großer Freude bringt jeder das ein, was er hat und vertraut darauf, dass der Andere ebenso denkt. Einem Retouren-Pflicht-Denken wird durch Wertschätzung der empfangenen Gaben Gottes entgegengetreten. Dem Bewusstsein, beschenkt zu sein mit dem, was ich brauche, entspringt eine große Freiheit in der Partnersuche. Die Konsumhaltung führt zu einem Anspruchsdenken und Gleichgewichtszwang an Verantwortliche, Leitung oder Mitarbeitende. Ich spende, arbeite mit oder investiere Zeit und erwarte von meinen Mitmenschen eine entsprechende Gegenleistung. Diese Denkmuster spiegeln sich auch in der Partnersuche wieder: Ich erwarte die gleiche Schönheit, den gleichen Zeit-Invest, die gleiche Beteiligung von meinem Partner, wie ich einbringe oder zumindest eine entsprechende Gegenleistung (z.B. Finanzielle Vorteile statt Schönheit).

Und wie sage ich es jetzt meinem Crush?

Am besten so, wie ich es auch meinem Partner in 50 Jahren sagen würde. Nikolaus Franke beschrieb es in seinem Seminar »Christlich Flirten« so: Ein guter, christlicher Flirt überlässt den Anderen dem Leben reicher. Das bedeutet, ich formuliere keine Erwartungen oder Ansprüche, sondern drücke aus, wie mein Schwarm mein Leben bereichert. »Ich liebe es, mit dir Zeit zu verbringen. Ich fühle mich durch dich inspiriert. Ich habe das Gefühl, wirklich etwas bewegen zu können, wenn wir uns getroffen haben. Ich mag den Klang deiner Stimme. Deine Herzlichkeit und sensible Art bewirken in mir das Gefühl von Heimat.« Selbst wenn keine Beziehung daraus erwächst, ist der andere ein Stück reicher im Wissen um seine Identität, seinen Wert und seiner Selbstwirksamkeit. Und das hat Bedeutung.

Sex: Wie tickt Gen Z und wie sprichst du mit ihnen?
Entdecke, wie du als Elternteil oder Jugendleiter mit der Generation Z über Sexualität sprechen kannst. Erfahre, was diese Generation bewegt und wie du Vertrauen aufbaust. Lerne, Brücken zu bauen und den Jugendlichen von heute zu helfen, sich in einer komplexen Welt zurechtzufinden.

[1] Vgl. BZgA, Datensatz »Jugendsexualität«, Befragung 2019

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