Ich habe Leute sagen gehört, das als Evangelikaler aufzuwachsen für sie hieß, nie über Sex zu reden. Das entspricht ganz und gar nicht meiner Erfahrung. Ich bin inmitten einer bibeltreuen reinen Kultur aufgewachsen und wir haben VIEL über Sex gesprochen. Wir haben eben nur die ganze Zeit damit zu gebracht darüber zu reden, warum wir KEINEN Sex haben sollten.

Als jemand der mit dem Sex bis zur Ehe gewartet hat wurde mir immer wieder versichert, dass mir ein einfaches und belohnendes Sexleben garantiert wäre. Als die Realität sich als ganz anders herausstellte war ich enttäuscht und desillusioniert. Nur durch schrittweise Gespräche mit anderen verheirateten Freunden wurde mir klar, dass ich nicht alleine war.

Ich fing an mich zu fragen, ob vielleicht die Erwartungen selbst falsch waren. Vielleicht war das, was mir gesagt und was ich über Sex in der Ehe geschlussfolgert hatte einfach nicht wahr.

Hier sind die vier größten Lügen über Sex die ich vor der Ehe geglaubt habe.

Lüge 1: Jeder und aller körperlicher Kontakt ist wie eine Einstiegsdroge zum Sex

In meiner Schulzeit bin ich einmal zu einer großen christlichen Jugendkonferenz gegangen. Eines Nachts sagte einer der Betreuer: »Mädels, uns sind einige sehr unangebrachte Berührungen unter euch aufgefallen…«

Die unangebrachten Berührungen, von denen sie sprach, entpuppten sich als zwei Oberstufen-Pärchen, die in der Jugendgruppe Händchen hielten. Diese Frau meinte es todernst. »Ich weiß, es mag auf euch wie kein großer Akt wirken«, sagte sie. »Aber Händchen halten führt zu ›ANDEREN DINGEN‹!«

Ich habe ähnliche Sachen von Eltern, Lehrern, Kirchenleitern und Büchern gehört. In meiner Kirche war es nicht unüblich, dass die Menschen sich nicht nur versprachen mit dem Sex bis zur Ehe zu warten, sondern sogar ihren ersten Kuss für den Hochzeitstag aufzubewahren. »Starte keinen Motor, wenn du nicht bereit bist das Auto auch zu fahren« und andere ähnliche Metaphern warnten mich davor, dass jegliche Form von körperlichem Kontakt ein aalglatter Abhang gerade in die Fänge der Unzucht wäre.

Was dieses Thema angeht kann ich ganz ehrlich sagen, dass du zwischen Küssen und Sex haben so viele bewusste Entscheidungen treffen musst. Ungeachtet dem was Hollywood sagt, zieht Kleidung sich nicht selbst aus und Körper fügen sich nicht magisch und mühelos ineinander.

Wenn du dich festgelegt hast mit dem Sex bis zur Ehe zu warten, dann gibt es viele gültige Argumente, dir Grenzen in deiner körperlichen Beziehung zu setzen aber die Angst davor, aus Versehen Sex zu haben, sollte keins davon sein.

Lüge 2: Wenn du bis zur Ehe mit dem Sex wartest, wird Gott dich mit überwältigendem Sex und einer magischen Hochzeitsnacht belohnen.

Vor meiner Hochzeitsnacht wurde mir gesagt, dass Flitterwochensex meistens nicht der beste Sex ist. Ich hatte davon gehört, dass guter Sex Arbeit verlangt. Ich wusste, dass es wahrscheinlich am Anfang unangenehm sein würde. Aber keiner hat mir JEMALS gesagt, dass es möglich wäre, dass am Anfang gar nicht klappen würde. In meiner Hochzeitsnacht waren mein Geist und mein Herz anwesend aber mein Körper war enger verschlossen als Maid Marian‘s (aus Robin Hood) Keuschheitsgürtel.

Ich bin mit der festen Überzeugung in die Ehe gegangen, dass Gott die belohnt, die gewartet haben, nur um durch den Vorgang selbst verwirrt zu werden. Ich habe mich wie ein völliger Versager gefühlt, sowohl als Frau als auch als Ehefrau. Und obwohl wir (letztlich) die Dinge ans laufen bekamen, war das hart, frustrierend, peinlich und ein herber Schlag für unser Selbstbewusstsein.

Den Sex für die Ehe aufzubewahren ist keine Garantie dafür, dass du tollen Sex haben wirst oder dass Sex einfach sein wird. Das einzige was es garantiert ist, dass die Person, mit der du dich da durch tastest, sich bereits verpflichtet hat, dich für immer zu lieben.

Lüge 3: Frauen interessieren sich nicht für Sex

Ich kann gar nicht aufzählen wie oft ich als Teenager und junger Erwachsener etwas in dieser Art gehört habe: »Jungs sind sehr visuell und sexuell, also, selbst wenn du nicht an Sex denkst musst du vorsichtig sein, denn du bist mitverantwortlich dafür sie nicht zum Stolpern zu bringen.«

Lasst uns die Tatsache, wie sehr Männer hier degradiert werden, einmal ausklammern und uns stattdessen auf die zugrunde gelegte Aussage, Jungs wären sexuell und Mädels nicht, fokussieren. Über Jahre hinweg wurde mir gesagt, dass »Mädchen kein Interesse an Sex haben«. Nun ja, so wie es sich herausstellt, ich schon. Das war für mich stets ein großer Punkt der Scham. Lange Zeit habe ich mich wie ein Freak gefühlt bis mir klar wurde, dass ich nicht die einzige bin, kein Außenseiter. Aber ich wusste es nie, weil es niemand zugab.

Viele Frauen (ja, sogar gläubige Frauen) denken über Sex nach. Viele Frauen (ja, auch gläubige Frauen) mögen Sex. Das macht dich nicht zu einem Freak. Es macht dich auch nicht unweiblich oder unnatürlich. Gott hat uns beide erschaffen, Männer UND Frauen, als sexuelle Lebewesen. Sex zu genießen macht dich zu einem menschlichen Wesen, das von Gott erschaffen wurde, als Gottes Ebenbild, mit der Fähigkeit und dem Wunsch zu lieben – körperlich, emotional, psychisch, geistig und sexuell.

Lüge 4: Wenn du heiratest, wirst du sofort komplett ohne Schuld- oder Schamgefühle in der Lage sein dich sexuell auszudrücken.

Viele Christen haben Jahre damit verbracht – von dem Tag an, als sie in die Pubertät kamen bis zu ihrem Hochzeitstag – ihre Energie darauf zu verwenden ihre sexuelle Begierde im Griff zu halten. Dann, innerhalb von ein paar wenigen Stunden, wird von ihnen erwartet, dass sie aufhören ihre Sexualität als etwas zu erleben, was vorsichtig kontrolliert werden muss und stattdessen in der Lage sein sollen, sie frei auszudrücken. Und nicht nur das – sondern sie auch noch mit einer anderen Person zusammen frei auszudrücken.

Viele von uns haben Schuldgefühle einprogrammiert – das ist die Art, wie wir uns während unserer Beziehungen im Zaum halten. Und das »rote Licht«-Gefühl, das wir uns antrainieren ihm zu gehorchen, geht nicht gleich weg, nur weil wir ein Gelübde abgelegt und ein paar Papiere unterzeichnet haben.

Es hat mehrere Monate gedauert bis ich keine, mich total krank machenden, Schuldgefühle mehr hatte, wenn ich mit meinem Mann zusammen war. Nicht jeder erlebt das so, aber für viele Leute die es erleben ist es furchtbar isolierend. Und wieder einmal erleben wir etwas, von dem unsere Kirchen und Gemeinden leugnen, dass es möglich ist. Wir fühlen uns allein und zerbrochen und mit dem tiefgreifenden Gefühl, dass das nicht die Art ist, wie es sein sollte.

Ich bereue nicht, mit dem Sex bis zur Ehe gewartet zu haben und ich bin auch kein Verfechter davon, dass Kirchen aufhören zu lehren, dass Sex für die Ehe entworfen wurde. Aber ich denke, dass etwas ernsthaft falsch läuft mit der Art und Weise wie wir dieses Thema gehandhabt haben.

Wenn der Grund mit dem Sex bis zur Ehe zu waren der ist, dass wir glauben, es wird den Sex besser oder einfacher machen, dann stellen wir uns selber nicht nur eine Falle die in Enttäuschung enden wird, sondern wir verpassen auch völlig den Sinn! Die unter uns, die sich entscheiden zu warten, tun dies aus Überzeugungen von der Heiligkeit der Ehe und Gottes Absichten und Wünschen für die Menschheit. Wir  wollen damit ihn und die Ehe als Institution, egal ob es einfacher oder schwieriger wird, ehren. Derweil haben wir in der evangelischen Kirche viel Arbeit zu tun, um die verzerrte Art, wie wir mit Sex und Sexualität, gerade im Umgang mit unseren Jugendlichen, umgegangen sind, zu korrigieren.

Quelle: Relevant-Magazine

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