Was ist eigentlich das Problem?

Fakt oder Fake? Verschwörungstheorien sind keine Erfindung aus Corona-Zeiten. Schon während der großen Pest-Epidemien im 14. Jahrhundert wurde z.B. verbreitet, dass Juden die Brunnen vergiften würden, um so die Pest auszulösen und die Christenheit damit auszulöschen. War ähnlich absurd, wie heutzutage zu behaupten, Bill Gates wolle die Weltbevölkerung durch Zwangsimpfung zum Großteil auslöschen – findet aber heute wie damals erschreckend viele Anhänger.

Die aktuell grassierenden Fake News sind auch keine neue donaldinische Erfindung, sondern schon immer Mittel von Wahlkampf, sowie Klatsch und Tratsch gewesen. Was wäre die BILD-Zeitung ohne … aber lassen wir das!

Sogar Populismus ist ein alter Hut. Schon immer hat es diejenigen gegeben, die mit einfachen Antworten auf komplexe Fragestellungen vorgetäuscht haben, es gäbe eine „Elite“ und ein „einfaches Volk“, das sich gegen die Elite schützen, ja wehren müsse. Die so tun, als würden sie zu diesem einfachen Volk gehören und es beschützen/befreien wollen. Die damit versuchen, die Massen zu begeistern und (und letztlich zum Vorteil des Populisten) zu mobilisieren.

Also alles wie immer?

Was sich in den letzten Jahren aber verändert hat, ist die Möglichkeit der Verbreitung von Fakenews etc. über Soziale Medien und die wachsende Akzeptanz der Gesellschaft solchen Mitteln gegenüber.

Da verdreht der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika die Tatsachen so, wie sie ihm in den Kram passen, widerspricht sich in einer Tour, wird quasi täglich der Lüge überführt … und seine Anhängerschar wächst. Wenn dann seine Wahlkampfmanagerin Kellyanne Connway von „alternativen Fakten“ spricht, ist das einerseits an Dreistigkeit kaum noch zu überbieten, aber andererseits wird es auch irgendwie normal … der amerikanische Präsident ist halt ein Lügner und Betrüger, so what?

Dass Trump evl. unter Mithilfe von Fakenews-Kampagnen in den sozialen Netzwerken (mit Ursprung in Russland, das ebenfalls von einem versierten Populisten regiert wird) an die Macht gekommen ist, passt da leider nur zu gut ins Bild. Für die diesjährige Präsidentschaftswahl lässt das nicht wirklich Gutes hoffen.

Da verdrehen z.B. Akteure der AfD historischen Tatsachen so selbstbewusst, dass mir regelmäßig das Blut in den Adern gefriert vor Entsetzen. Aber auch hier findet so langsam eine Gewöhnung an die dauernden Tabubrüche und Diskursverschiebungen nach rechts statt.

Und das sind ja alles nur Einzelbeispiele. Besonders, wenn es um Meinungsmache/Meinungsbildung im Netz geht, sind Begriffe wie Echo-Kammer, Filterblase, Hate-Speech und Shitstorm omnipräsent.

Was sind Filterblasen und Echo-Kammern?

Wie man in die Kammer hineinruft, so echot es hinaus: Was genau sind eine Filterblase und eine Echo-Kammer? Der Begriff der »Filter Bubble« stammt von Internetaktivist Eli Pariser (The Filter Bubble. What the Internet Is Hiding from You. 2011. Penguin Press). Kurz umrissen, will er damit folgendes Phänomen beschreiben: Da es im Internet einfach zu viele Informationen gibt, die völlig ungefiltert, auf mich armen User einstürzen, arbeiten Suchmaschinen und Soziale Netzwerke mit immer mehr und immer besseren Algorithmen. Diese sollen eine Vorsortierung vornehmen, damit wir die Informationen besser handhaben können.

Wonach wird dabei sortiert? Nach meinen Vorlieben, bisherigen Interessen, meinem Ort etc. D.h., wenn ich »Eis« google, erscheint bei meiner Frau die nächste Eisdiele um die Ecke ganz oben in der Suchliste, bei mir sind es Rezepte zum Selber-Eis-Herstellen. Da stand sonst auch immer die Lieblingseisdiele ganz oben (weil wir wahrscheinlich oft genug, nach deren Öffnungszeiten gesucht haben). Aber in der letzten Zeit war ich auf Rezeptsuche und schwups hat der Algorithmus für mich umgestellt, um mir möglichst passende Informationen zu liefern. Auch Musikstreamingdienste machen das. Wer da immer wieder Schlager gehört hat, bekommt am Ende auch nur noch Schlager angezeigt … Ich weiß, das würdest du nie tun. Aber jetzt mal als Beispiel 😉 So weit so bequem.

Wenn ich das jetzt aber auf Politik, Ideologien, wichtige gesellschaftliche Strömungen und Meinungen anwende, laufe ich Gefahr, dass ich in der Filterblase nur solche Nachrichten, Meinungen etc. angezeigt bekomme, die nicht nur meinen Interessen, sondern eben auch meiner Meinung entsprechen. Google macht das sehr erfolgreich, der personalisierte Facebook News Stream ebenfalls. Wenn ich jetzt eine kritische Meinung zum Islam (auch wenn es DEN Islam ja gar nicht gibt, aber machen wirs nicht komplizierter, als es ist) hätte, würden mir so immer wieder und immer mehr Meldungen angezeigt, die diese Meinung bestätigen.

»Das persönliche Informationsuniversum, das Sie online bewohnen – einzigartig und nur für Sie aufgebaut von den personalisierten Filtern, die das Web jetzt antreiben.« –Eli Pariser

Je mehr ich in diese Filterblase eintauche und Kontakte mit Leuten (oder Bots) eingehe, die auch meiner Meinung oder politischen Einstellung sind, desto weniger werde ich mit anderen Meinungen, evtl. Studien, Faktenlagen etc. »belästigt«. Dann befinde ich mich in der Echo-Kammer – ich höre und sehe nur noch das, was ich eh schon wusste, mochte und richtig fand. In meiner fiktiven »Angst-vor-dem-Islam-Echo-Kammer« würde ich dann sowohl von Nachrichtenmeldungen, Politikerposts etc. her nur Negatives über den Islam hören und auch von meinen vielen Kontakten auf den diversen Social Media Kanälen nur negative Dinge zum Islam erzählt, geteilt etc. bekommen.

»Kommunikationsumgebungen, in der Personen ihre eigene Meinung immer wieder als Echo zurückerhalten.« –Cass Sunstein

So bleibe ich auf meinen eigenen Horizont beschränkt. Wenn der auch vorher schon eher beschränkt war … bleibt am Ende halt ziemlich viel für Meinung für echt wenig Ahnung übrig. Das dann aber dafür mit völlig unhinterfragbarer Überzeugung.

Schlimmer noch: Wenn ich tief genug drin stecke in meiner Echo-Kammer, wird sich mein kritisches Gefühl dem Islam gegenüber nicht nur bestätigen, sondern es wird sich entwickeln. Zu echter Angst z.B., oder zu der Ansicht: Wenn das mit dem Islam soooo schlimm ist, dann muss ich eine Partei wählen, die endlich etwas dagegen tut. Dann muss ich auf die Straße, demonstrieren … oder schlimmeres.

Und dann laufen hunderte Menschen auf Demonstrationen gegen die »Islamisierung des Abendlandes« auf. Mit echter Angst vor dieser Islamisierung – in Gegenden in denen es kaum Menschen mit ausländischer Herkunft oder »entsprechender Religion« gibt. Dort bestätigt man sich wunderbar gegenseitig wie groß doch die Gefahr ist und geht verängstigter und wütender nach Hause als vorher… was wiederum die Teilnahme an der nächsten Demo sichert.

Es wär lustig, wenn es nicht so traurig wäre. Dagegen gilt doch:

»The mind is like an umbrella it functions best when open.« –Walter Gropius

Zu viele »minds« in der Echo-Kammer – das könnte eine Gefahr darstellen. Für die Einzelnen, aber auch für unsere Gesellschaft und die Demokratie. Denn es ist für eine ordentliche und ausgewogene Meinungsbildung unerlässlich, dass wir andere Argumente und Meinungen hören, darüber nachdenken, diskutieren, uns reiben. Wir brauchen die »Auseinandersetzung mit der Agenda der Allgemeinheit« (Bernhard Pörksen). Rein gefühlte Wahrheiten sind am Ende eben keine.

Was ist das jetzt aber genau und was hat das mit »meinen« Kids und Jugendlichen zu tun?

Echokammern sind vor allem für Jugendliche reserviert: Auch wenn die Stärke dieser Effekte bei Erwachsenen durchaus umstritten ist, ist die Gefahr bei Jugendlichen besonders hoch. Denn, Jugendliche…

  • informieren sich nahezu ausschließlich online,
  • beziehen ihre »Nachrichten« darüber hinaus fast komplett aus Social Media Kanälen,
  • beschränken ihre Informationsquellen darin meist auf wenige.

Dazu kommt, dass Jugendliche als Digital Natives einen Großteil ihrer Identität an Social Media etc. binden. Nur wer postet, ist auch wer. Das Leben wird inszeniert, mit vielen Fotos in Storys oder bei Snapchat, wo alles nur einen Tag lang hält, geteilt. Es wird gelikt und kommentiert, was das Zeug hält …

Dabei sind die Möglichkeiten unzählig und der Drang danach, mich selbst ganz individuell zu entwickeln und zu präsentieren groß. Der Druck das »Instagramable« zu tun und dabei immer schneller zu werden, fordert aber gleichzeitig auch ganz schön heraus.

Das macht es schwer für Jugendliche, ihre Identität zu entwickeln, weil Identität nicht schillernd, schnell und mit Showeffekt herstellbar ist.

Letztlich geht es bei ganzen Fake News, Populismen und Verschwörungstheorien genau darum: In einer immer schnelleren, unsichereren Welt, die einem davonzuschwimmen scheint, eine trennscharfe, sichere Antwort zu bekommen, an der ich mich festhalten kann, die mich bestätigt, die mich zu einer Gruppe gehören lässt und mich damit auch klar von »den Anderen« abgrenzt.

Deswegen sind Jugendliche für Filterblase und Echo-Kammer besonders anfälligund stehen in der Gefahr, an Autonomie zu verlieren, Informationen nicht mehr selbst bewerten zu können (oder dies nie zu lernen), bzw. weder zu wissen, wo sie verlässliche Informationen beziehen noch darüber in irgendeiner Weise effektiv debattieren können.

Und nun?

Zum einen entstehen Echo-Kammern ja nicht aus dem Nichts: Sie haben etwas zu tun mit meinen Einstellungen bei Suchmaschinen/Social-Media-Kanälen etc., meiner Art der Informationsbeschaffung und den Menschen, die ich zu meinem Netzwerk gehören lasse.

Sprich: Welche Seiten bekommen ein »Like« von mir? Welches sind meine Informationsquellen? Wer gehört zu meinem digitalen »Freundeskreis«? Wie interagiere ich mit (welchen) Beiträgen?

Das alles trägt zum Aufblasen einer Filterblase bei oder entzieht ihrem Entstehen die Grundlage. Allein, dass ich mir bewusst mache, dass es dieses Problem gibt und wie es funktioniert, hilft mir dabei, einmal bewusst nach anderen Meinungen und Argumenten zu suchen, meine Informationsquellen zu erweitern etc.

Besonders der direkte Austausch mit anderen Menschen, die nicht meinem engsten Umfeld angehören, hilft mir, andere Meinungen wahrzunehmen und damit umzugehen. Das eröffnet andere Perspektiven und fördert die Diskursfähigkeit ungemein.

In Zeiten der Verunsicherung, wie aktuell, sind diese bewussten Entscheidungen und Fähigkeiten für Diskurs und Offenheit nötiger denn je. Ich glaube, hier kann Jugendarbeit einen wichtigen Beitrag leisten!

Zum anderen ist die große Frage an die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen:

Wie können wir Kindern und Jugendlichen helfen, eine Identität zu entwickeln, die einen offenen Geist beherbergt und ebenso offen für die verschiedensten Beziehungen zur Welt ist. Zu anderen Personen, der Natur, sich selbst und Gott. Die bereit ist, sich hinterfragen zu lassen und kritisch konstruktiv zu diskutieren. Die darum weiß, dass sie eine lebenswerte, wertvolle Person ist und die es auszuhalten vermag, dass die Welt manchmal widersprüchlich, kalt, nicht verständlich oder einfach zu schnell ist.

Wie begleiten wir Kinder und Jugendliche auf dem Weg zu einer Identität, die sich in Echo-Kammern nicht wohlfühlt und keine Filterblasen braucht, um mit der Vielfältigkeit und Mehrdeutigkeit der Welt klarzukommen? Wenn das keine lohnende und besonders fordernde Herausforderung für uns als Mitarbeiterinnen ist!

Drittens haben wir es als Christen in dieser Frage eigentlich besonders gut: Unsere Identität hängt vor allem anderen nämlich auch an Gott. Dem Gott, der uns geschaffen hat und uns lieb hat. Uns wertvoll findet – einfach so.

Wer braucht schon, ach wer will schon eine Echo-Kammer, die mich politisch ganz rechts oder links festnageln will, meine Angst bedient und vergrößert, meine Unsicherheit nutzt, um andere auszugrenzen… wenn ich auch hören und erleben kann, was im Psalm 8 in der Bibel steht:

»Herr, unser Herrscher, wie berühmt ist dein Name in aller Welt! Ja, auch am Himmel zeigst du deine Größe und Herrlichkeit. Schon Säuglingen und kleinen Kindern hast du dein Lob in den Mund gelegt, damit sie deine Macht bezeugen. Wenn ich den Himmel sehe, das Werk deiner Hände, den Mond und die Sterne, die du erschaffen und ´an ihren Ort gesetzt hast, dann staune ich: Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst? Wer ist er schon, dass du dich um ihn kümmerst! Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, mit Ehre und Würde hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn eingesetzt über deine Geschöpfe, die aus deinen Händen hervorgingen; alles hast du ihm zu Füßen gelegt. Du hast ihm Schafe und Rinder unterstellt und dazu alle frei lebenden Tiere in Feld und Flur, die Vögel, die am Himmel fliegen, ebenso wie die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht.« – Psalm 8 in Auszügen nach Neue Genfer Übersetzung

In diesem – völlig filterblasenfreien – Sinne wünsche ich dir gute Gespräche und Erfahrungen mit deinen Jugendlichen zu diesem Thema!

Dein Heiko

PS:

  • Weiterführende Informationen und Material für Gruppenstunden zum Thema Filterblase und Echo-Kammer findest du z.B. hier.
  • Tiefer in die Thematik der Mediennutzung von Jugendlichen einarbeiten kannst du dich mit der JIM-Studie.

Foto von Alexandra Mirgheș auf Unsplash

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