Einer der traurigsten Anlässe

Einer der traurigsten Anlässe überhaupt, sich mit einem Thema zu beschäftigen, ist der Tod eines Menschen. Der völlig sinnlose und anscheinend bewusste Mord eines Polizisten an einem Menschen. Einem Menschen, der wehrlos auf dem Boden lag und der qualvoll erstickt ist. Einem Menschen, dem unfassbares Unrecht angetan wurde und der jetzt tot ist. Tot, weil er schwarze Haut hatte. George Floyd.

Nicht nur traurig, sondern zum Verzweifeln ist es, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der Präsident wohlgemerkt aller Menschen in diesem Land, bisher eher durch rassistische Sprüche aufgefallen ist, als versöhnend zu wirken. Wenn dieser Präsident mit Militäreinsatz droht, wenn die Proteste gegen Polizeigewalt, Ungerechtigkeit und Rassismus nicht aufhören. Wenn er sich den Weg zu einem Fotoshooting mit Bibel in der Hand vor einer Kirche von Polizisten freigasen lässt …

Eigentlich ist Verzweiflung da auch nicht das einzige, was sich in mir regt. Während ich das schreibe, merke ich wie abstoßend ich dieses Verhalten finde – und ich immer wieder mit den Tränen kämpfen muss.

#blacklivesmatter

Auf der anderen Seite sind sie sofort da, die Kritiker von Polizeigewalt des rassistischen Präsidenten und überhaupt der rassistischen Geschichte der USA. Plötzlich war mein Instagramfeed voller schwarzer »Bilder« mit dem Hashtag #blacklivesmatter.  Das ist gut, das ist wichtig, das ist richtig. Und doch habe ich dabei einen schalen Geschmack im Mund. Warum?

Weil ich es unglaublich schade finde, dass wir immer noch deutlich machen müssen, dass »schwarzes Leben« wertvoll ist. Ist das nicht einfach selbstverständlich und vollkommen irrelevant, welche Hautfarbe jemand hat?

Aber wir werden Rassismus anscheinend nicht los. Die Rassenkonflikte werden den US-Wahlkampf bestimmen und es ist leider nur zu wahrscheinlich, dass Trump die Wahl gewinnen kann, gerade weil er rassistisch unterwegs ist. Die Frage danach, ob Deutschland und die deutsche Kultur es aushalten, wenn rund 1 Million Flüchtlinge in unser Land kommen, beschäftigt die Politik und die Gesellschaft seit gut fünf Jahren – und hat nicht nur zu einem brennenden Flüchtlingsheim geführt.

Laut einer Studie der European Union Agenca For Fundamental Rights gibt jeder zehnte EU-Bürger afrikanischer Herkunft an, schon rassistische Gewalt durch Polizisten erlebt zu haben.

Gehört Rassismus also vielleicht zum Menschsein dazu? Können wir nicht anders? Müssen wir andere Menschen aus irgendeinem Grund hassen, damit es uns gut geht?

»I have decided to stick with love. Hate is too great a burden to bear.« –Martin Luther King Jr.

Sind wir dann nicht höchstwahrscheinlich alle miteinander Rassisten? Du und ich ebenso? Sind wir vielleicht (mit)schuld daran, dass es Rassismus heute unter uns gibt? Sind am Ende dann gar nicht die »Nazis« die brandgefährlichen, sondern du und ich, die Rassismus gesellschaftsfähig machen?

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Aber ich doch nicht!

Rassismus bedeutet, einem Menschen nicht unvoreingenommen zu begegnen, sondern ihn aufgrund seiner Herkunft, Hautfarbe, Religion etc. abzustempeln. Es bedeutet, zu denken, man wisse bei einem fremden Menschen von vorneherein, was er denkt und tut – und dass das nicht wirklich an mein Niveau heranreichen kann.

Damit hast du kein Problem? Dann hier ein paar Beispiele für dich:

  • Was Menschen, die »irgendwie asiatisch« Aussehen seit dem Coronaausbruch in China erlebt haben, ist beschämend. Sie wurden gemieden, beleidigt, angeschrien und wenn sie bestimmten Personen zu Nahe kamen, aus Bussen geworfen. Unsere Angst vor Ansteckung ist rassistisch (funktioniert übrigens auch mit anderen Krankheiten und Nationalitäten).
  • Wie oft hörst Jugendliche auf dem Schulhof andere mit »Du Türke«, »Du Jude« o.ä. Beschimpfen? Eine Nationalität als Schimpfwort zu benutzen – rassistisch.
  • Dem Mitschüler aus Afrika immer wieder eine Banane auf seinen Tisch legen oder hinter seinem Rücken Affengeräusche machen – rassistisch.
  • »Wissen«, dass syrische junge Männer doch eh Terroristen und Vergewaltiger sind – rassistisch.
  • Davon ausgehen, dass eine mir im Krankenhaus auf dem Flur entgegenkommende Frau mit Kopftuch die Putzfrau ist und nicht die Stationsärztin – rassistisch.
  • Wenn du erstaunt bist, dass ein Mensch mit dunklerer Hautfarbe »aber gut Deutsch spricht« und loben erwähnen willst, dass er »gut integriert« sei – rassistisch.
  • Menschen mit »nicht-deutschem Aussehen« fragen, wo sie »wirklich« herkommen – rassistisch.
  • So tun als wäre dein Land so weltoffen, dass es doch einfach gar keinen Rassismus geben können – rassistisch (und ziemlich ignorant).
  • Die eigenen Privilegien als Weißer nicht wahrhaben wollen und leugnen – rassistisch. Zum Weiterdenken mit Aha-Effekt!
  • Ignorieren, dass eine ganze Reihe Sklaven für deinen Lebensstil, also direkt für dich arbeiten – rassistisch (Wie viele Sklaven für dich schuften müssen? Mache hier den Test)

Diese Liste ließe sich noch ewig verlängern. Sie macht jetzt schon deutlich: Unsere Gesellschaft hat ein dickes Rassismusproblem.

Aber das wollte ich doch gar nicht!

Vielen Menschen ist ihr rassistisches Verhalten wahrscheinlich gar nicht bewusst. Das mag einerseits daran liegen, dass wir fast alle mehr oder weniger so sozialisiert wurden. Ich bin beispielsweise mit dem »Negerkuss«, dem »Schokoladenmohr«, dem »schwarzen Knecht Ruprecht« und einer Spardose für das Patenkind unseres Kindergottesdienstes aufgewachsen, bei dem sich ein kleines »Negerkind« (so wurde das wirklich genannt) immer verbeugte, wenn ich meine 10 Pfennig einwarf. Mein Vater »wusste«, dass die Südländer eh zu faul zum Arbeiten sind und man »denen in Afrika« mal Demokratie beibringen müsste, damit die sich nicht immer alle gegenseitig umbringen – und das sind nur einige wenige Beispiele.

Zum anderen mag es aber auch daran liegen, dass Rassismus vor allem diejenigen bemerken, die davon betroffen sind. Wenn ich als weißer Mann keinen Rassismus erlebe, heißt das aber nicht, dass es keinen gibt.

Darüber hinaus kann es an Unwissenheit (und nicht stattgefundener Reflexion liegen). Wer noch nie gesagt bekommen hat, dass bestimmte Ausdrücke oder Verhaltensweisen beleidigend und rassistisch sind, hält sich selbst vielleicht gar nicht für rassistisch, obwohl er sich so verhält.

Auch Menschen mit Migrationshintergrund zu kennen, schützt mich nicht vor rassistischen Verhaltensweisen und Gedankengut. Nur weil ich mich mit Frauen unterhalte, bin ich ja auch nicht automatisch kein Sexist.

O.K. … krass

Wer ehrlich zu sich selbst ist, wird schnell feststellen, dass jeder rassistische Tendenzen hat. Und wo auch immer die herkommen – wir müssen daran arbeiten. Es ist ein menschliches »No go«, andere zu diskriminieren, benachteiligen oder gar ihnen Gewalt anzutun, weil sie anders aussehen, woanders herkommen, sich anders kleiden, anderes glauben etc.

Wer noch ehrlicher zu sich selber ist, muss sich eingestehen. Wir weißen Menschen, und darunter besonders die weißen Männer, haben alle Privilegien. Wir haben das meiste Geld, die meiste Macht, die meiste Freiheit, eine laute und gewichtige Stimme und leben mit dem Selbstverständnis, dass die Welt für uns da ist. D.h., dass es am Ende wir sind, die mit dafür sorgen, dass andere auf dieser Welt unterdrückt werden. Dass Andere weniger Geld, Macht, Freiheit, Stimme und Anrecht auf die Welt haben, als wir.

»If you are neutral on situations of injustice, you have chosen the side of the oppressor.« –Desmond Tutu

Wir sind die Rassisten. Rassismus ist unser Problem. Wir haben dieses Problem entstehen lassen. Ein Problem, das wir lösen müssen!

Wir müssen verstehen, dass alle Menschen gleich sind. Gleich wichtig, gleich wertvoll, gleich geschaffen. Wir müssen Vielfalt lieben lernen, dass Buntheit das Leben schön, spannend und reich macht. Dass Fremdheit neues entdecken lässt, uns hilft zu lernen und neue Gemeinschaft entstehen lässt.

Wir sind dran

Was kannst du tun? Du kannst selbst aufstehen für Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Kannst versuchen so zu leben, dass dein Leben nicht automatisch Menschen unterdrückt. Kannst beten und Gott um Erbarmen bitten. ‚Kannst laut werden, wo du Rassismus mitbekommst. Kannst bewusst Menschen kennenlernen, die Opfer von Rassismus sind und ihnen zuhören. Du kannst dir heute vornehmen allen rassistischen Tendenzen in dir den Kampf anzusagen.

Du kannst dich mit deinen Jugendlichen auf den Weg machen zu entdecken, was Rassismus ist und was er anrichtet. Auf den Weg zur Begegnung mit den eigenen Privilegien und den Opfern von Rassismus. Auf den Weg zu Solidarität, Gleichheit und wahrhaft menschlichem Verhalten.

Wir können der Anfang vom Ende dieser ekelhaften Geißel der Menschheit sein. Lasst uns JETZT beginnen, Rassismus zu beenden. Überall da, wo wir sind.

Du benötigst noch Inspiration dafür? James Corden gibt sie dir (Gänsehautvideo!).

Pfingsten ist das Anti-Rassismusfest

Am Wochenende haben wir Pfingsten gefeiert. Ein völlig unterbewertetes Fest. An Pfingsten reißt Gott alle Grenzen ein, macht es möglich, dass Menschen aus den verschiedensten Ecken der Welt, sich auf Augenhöhe begegnen und sich verstehen. Macht es möglich, dass aus Fremden Freunde werden.

Weil Gott seine Menschen kennt und weiß, dass es ihnen allein echt schwertun, alle Menschen zu lieben, wie er sich das vorgestellt hat, schickt Gott seine Geistkraft zu den Menschen. Und die macht uns fähig zu lieben – sogar den Fremden und Andersartigen. Die macht uns fähig eine Gemeinschaft, eine Kirche zu sein, die grenzenlos liebt.

Das ist so schön. Und so wichtig. Und so nötig.

Lasst es uns leben!

–Dein Heiko

Zum Weiterdenken

Buchtipps:

KonterBUNT: Eine App, mit der man spielerisch Strategien und Argumente gegen rassistische (oder sexistische) Bemerkungen einüben kann.

Ideen für Gruppenstunden/Projekte zum Thema:

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