»Ich liebe meine Gemeinde«

Einer von zwei Jugendlichen deiner Gemeinde möchte nichts mehr vom Glauben wissen – zumindest mit Mitte 20. Ich habe selber kleine Kinder. Die Vorstellung, dass 50% von ihnen zu meinem 55. Geburtstag als überzeugte Atheisten kommen, bricht mir das Herz. Leider ist genau das für viele Jugendliche aus unseren Gemeinden die Realität. In der Phase des Erwachsenwerdens geben sie ihren Glauben auf und treffen auf veränderten Grundlagen die einflussreichsten Entscheidungen ihres Lebens. Woran liegt das? Und wie können wir Gemeinden sein, in denen zwei von zwei Jugendlichen auch mit Ende 20 noch leidenschaftlich Jesus nachfolgen?

Das christliche Fuller Jugendinstitut in Kalifornien (@fulleryouthinstitute) hat in der Studie »Growing Young« (2016) 250 Gemeinden untersucht, die junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren überdurchschnittlich gut erreichen. In diesen Gemeinden herrscht ein aktives Miteinander der Generationen und die Jugendlichen sagen: »Ich liebe meine Gemeinde.« Das Team hinter der Umfrage wollte wissen, was diese Gemeinden anders machen. Herausgekommen sind sechs strategische Faktoren, die in jeder Gemeinde umsetzbar sind.

1. Gib Schlüsselpositionen frei

Beim ersten Faktor geht es darum, Schlüsselpositionen freizugeben.

»Wer auch immer die Schlüssel hat, hat die Macht, Leute hereinzulassen oder auszusperren. Schlüssel geben Zugang zu realen Räumen, und zu strategischen Besprechungen, wichtigen Entscheidungen und zentralen Rollen oder Orten der Autorität. Je mehr Macht und Einfluss du hast, umso mehr Schlüssel hältst du.« – Kara Powell1

In den Gemeinden, die junge Menschen lieben, bevollmächtigen Schlüsselpersonen alle Generationen mit ihren eigenen Schlüsseln – inklusive Teenager und junge Erwachsene – und geben Schlüsselpositionen für die junge Generation frei.

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Action
Nimm dir einen Zettel und schreib auf, welche realen und übertragenen Schlüssel du an deinem Bund trägst.

Halte nicht an deinen Schlüsseln fest, sondern überlege, welchem jungen Menschen du einen deiner Schlüssel weitergeben wirst. Schreib dir jetzt ein paar Namen auf.

2. Sei empathisch

Eine Gemeinde zeigt der jungen Generation, dass sie herzlich willkommen ist, wenn die Menschen in ihr sich bemühen, die Themen, Hoffnungen und Sorgen der Jugendlichen nachzuempfinden. Kurz: Empathie.

Es fordert Einsatz, um wirklich zu verstehen, was Teenager machen, warum sie es machen, was ihre Bedürfnisse sind, wie sie über die Welt denken und was für sie von Bedeutung ist.2 Viele Jugendliche beschäftigen Klima, Terrorismus, soziale Medien bzw. weltweite Vernetzung und andere Themen. Erwachsenwerden ist komplexer geworden, obwohl die grundlegenden Fragen die gleichen geblieben sind:

  1. Wer bin ich?
  2. Wo gehöre ich dazu?
  3. Welchen Unterschied mache ich?

Als Gemeinden können wir hier mit Interesse und Empathie begleiten und Jugendliche unterstützen vom Evangelium her Antworten zu finden.

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Action
Komm am Sonntag als Jugendlicher. Sieh den Parkplatz, das Gemeindehaus, den Gottesdienst und eure Internetseite mit den Augen eines jungen Menschen.

Welche Botschaft kommuniziert ihr Jugendlichen?

Wenn du dir unsicher bist: Triff dich mit einem Teenager und frag ihn. Baue eine enge und einfühlsame Beziehung zu einem Teenager auf.

3. Lehre und lebe das echte Evangelium

Jugendliche lieben Gemeinden, die Jesu Botschaft ernst nehmen. Sie lieben Gemeinden, in denen das echte Evangelium gelehrt und gelebt wird, in denen deutlich wird, dass es beim Glauben um mehr geht als um Verhalten und Regeln, Sündenmanagement und eine ferne Hoffnung auf ewiges Leben. Geistlich reife Jugendliche wollen das pure Evangelium, d.h. Jesus Christus und das, was er gepredigt und getan hat. Er hat ...

  • die Fülle von Gottes bedingungsloser Liebe und endloser Treue verkörpert, er hat
  • nicht verurteilt, sondern befreit, er hat
  • gebrochene Menschen wiederhergestellt,
  • Menschen zur Nachfolge eingeladen, was auch Opfer und Herausforderungen mit sich bringt.
Jugendliche lieben Gemeinden, die Jesu Botschaft ernst nehmen. Foto adrianna geo

Diese Gemeinden betonen ein Evangelium, das die Beziehung zu Jesus Christus im Zentrum hat und schon jetzt jeden einzelnen Bereich unseres Lebens und unseres Herzens durchdringt und verändert.

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Action
Frage die Jugendlichen in deiner Gemeinde, was sie glauben und wie sie mit ihren Worten den Kern des Evangeliums beschreiben würden. Geht es um Verhalten oder um Beziehung?

Begründe Moral, Ethik und Gehorsam als dankbare Antwort auf Gottes Güte, seine Gnade und unsere neue Identität als sein Volk in dieser Welt – so wie es Paulus in seinen Briefen gemacht hat.

4. Befeure eine warmherzige Gemeinschaft

»Wie eine große Familie.« – So beschreiben die Jugendlichen ihre Gemeinde und die Gemeinschaft, zu der sie gerne gehen und wo sie sich gerne einbringen. Ein Zuhause!

Eine Gemeinschaft, die das Leben teilt.

Wie ein knisterndes warmes Feuer, um das sich jeder von uns gerne mit Freunden versammelt, zieht diese Art von warmherziger Gemeinschaft junge Menschen an. Gemeinde als Familie, in der ich angenommen bin, wo ich dazugehöre, wo Raum ist für Fragen, Zweifel, Erlebnisse mit Gott, wo gemeinsam gefeiert und getrauert wird. Hier geht es um Atmosphäre, um Kultur, um Beziehungen, um Gastfreundschaft.

Einige Gemeinden haben dafür das Programm runtergefahren, um mehr Zeit für Beziehungen und Freundschaften zu haben. Wärme ist wichtiger als Wochenstunden.

Jugendliche wissen: Das Internet kann nicht helfen umzuziehen und begleitet auch nicht zum Bewerbungsgespräch – die Gemeindefamilie schon.

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Action
Frag einen Jugendlichen mit welchen Worten er eure Gemeinde beschreiben würde. Erzählt er vom Gottesdienst, vom Lobpreis, vom Gebäude oder von einer warmherzigen Familie?

Wie können generationsübergreifende Freundschaften und Beziehungen in eurer Gemeinde gelebt werden? Das ist ein entscheidender Faktor, um jünger zu werden.

5. Priorisiere Jugendliche und Familien – überall

Dieser Faktor ist wahrscheinlich der entscheidende – und der schwierigste. An diesem Punkt entscheidet sich, ob eine Gemeinde jünger wird oder eine alternde Gemeinde bleibt, was biologisch gesehen der natürliche Lauf ist.

Wie viel sind du und deine Gemeinde bereit aufzugeben, um junge Menschen zu erreichen?

Denn hier geht es nicht darum das Jugendbudget zu erhöhen oder statt einem Familiengottesdienst im Jahr jetzt zwei zu feiern.

Die Kultur und die Identität verändern sich, wenn eine Gemeinde jünger werden möchte, nicht nur das Programm. Aufmerksamkeit und Ressourcen verlagern sich. Die Atmosphäre, die Strategie, die Gemeinschaft und die tatsächlichen Aktionen zeigen, dass/ob junge Menschen priorisiert werden. Das wird z.B. sichtbar, wenn Teenager nicht ausschließlich Kindergottesdienst machen dürfen, sondern mit einbezogen werden und bedeutungsvolle Aufgaben bekommen: bei Gottesdiensten, bei neuen Projekten, bei der Raumgestaltung usw.

Jesus selbst hat den Kindern so viel Aufmerksamkeit geschenkt und sie zu Vorbildern erklärt, dass es seine Jünger genervt hat. Wenn wir junge Menschen und ihre Familien priorisieren, sie einbeziehen und unterstützen, haben wir Jesus auf unserer Seite.

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Action
»Wie würdest du das machen?« spricht Bände, wenn du das als Erwachsener einen Teenager vor dem nächsten Gottesdienst, Gemeindefest, Gebetsabend, … fragst.

Wie könnt ihr Eltern stärker einbeziehen, um die Jugendlichen zu prägen, besser informieren, passender unterstützen?

6. Sei der beste Nächste

Nimm dir bewusst Zeit die heutige Kultur kennenzulernen. Foto Nina Strehl

Jesus hat uns aufgetragen unsere Nächsten zu lieben. Junge Menschen halten Ausschau nach Gemeinden, die die Welt außerhalb der Gemeindewände nicht verdammen und sich isolieren, sondern sie lieben und im Sinne Gottes gestalten.

Sie erkennen das Gute in der Kultur, ohne alles ungeprüft aufzunehmen. Ohne die Augen vor Problemen zu verschließen, leben sie eine Kultur des Dialogs und der Beziehung.

Das ist eine Herausforderung, die beide biblische Aufträge ernst nimmt: sowohl ein heiliges, ausgesondertes Volk zu sein, als auch die Nächsten zu kennen, ihnen gnädig zu begegnen und sie zu lieben.

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Action
Erkundige dich über die soziologischen Angaben der Nachbarn der Gemeinde, von Alter, über Herkunftsland, Bildung und Familienstatus. Spiegelt sich das in eurer Gemeinde?

Nimm dir bewusst Zeit die heutige Kultur kennenzulernen: Sprich mit Jugendlichen, hör dir die derzeit beliebtesten Lieder an, verbringe als Kultur-Detektiv Zeit in der Fußgängerzone oder im Einkaufscenter – was siehst du, was hörst du, was sind die Themen?

Fazit: Gespräch

Die Ergebnisse des Fuller Instituts begeistern mich und liefern viele Ideen und Ansätze, um direkt loszulegen. In der Umsetzung kann man nur einen Schritt nach dem anderen gehen. Es wäre nicht hilfreich, wenn ihr euch alle sechs Faktoren gleichzeitig vornehmt.

Dieser Veränderungsprozess braucht Zeit, weil sich die Kultur und Identität einer Gemeinde ändern.

Nur langsam wird die Frucht sichtbar werden. Aber es lohnt sich den ersten Schritt zu gehen und dieser ist das Gespräch. Wie können die älteren Generationen, wie kann die Gemeindeleitung, wie kannst du selbst von Jugendlichen erfahren, was sie beschäftigt, welche Wünsche sie haben und wie sie die Gemeinde wahrnehmen? Ich ermutige dich: Frag nach.

Wenn wir das tun und entsprechend leben, werden unsere Gemeinden jünger und Jugendliche sagen: »Ich liebe meine Gemeinde.«

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1 Powell, Kara, Mulder, Jake and Brad Griffin 2016. GROWING YOUNG: 6 Essential Strategies to Help Young People Discover and Love Your Church. Grand Rapids, MI: Baker Books, S. 53
2 vgl. ebd. S. 92

Dieser Artikel wurde zuerst auf Forum Wiedenest veröffentlicht.

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