Not lehrt beten. Nicht.

Eine aktuelle Umfrage hat herausgefunden, dass gut 1/3 der Deutschen in der Corona-Krise mehr betet als sonst. Auch bei Online-Gebetsaktionen im deutschsprachigen Raum wie etwa »Gemeinsam vor Pfingsten« sind hunderttausende dabei – auch Nichtchristen. Stimmt also das alte geflügelte Wort: »Not lehrt beten«?

Aufs Ganze gesehen, lehrt Not aber wohl eher nicht beten, wenn ich nicht bereits vorher mit Gott im Gespräch war. Gereon Heuft hat in seiner Doktorarbeit dazu geforscht und vor allem mit Blick auf Krebspatienten herausgearbeitet: Menschen in Not sind nicht nachweisbar religiöser/gläubiger als der Rest der Bevölkerung.

Wie ist das bei dir? Und bei deinen Jugendlichen?

Wenn ich nur von mir ausgehe, dann »hilft« mir Not schon noch mal neu, mehr und anders zu beten: Vor ungefähr einem Jahr, als Sohn 02 über Leben und Tod entscheidende OPs über sich ergehen lassen musste. Als ich selbst nicht mehr aussprechen konnte, was ich fühle und nicht mehr wusste was passieren müsste, damit es gut wird. Da haben mir besonders Gebete geholfen, die ich auswendig kann. Beispielsweise Psalmtexte, in denen ich mich wiederfinde und die für mich sprechen.

Das »Vater Unser« ist auch so ein Gebet.

Unser tägliches Brot gib uns heute

Die Krise hat mein Leben völlig durcheinander gebracht, meine Arbeit erschwert und meine Sorgen um Familie und Freunde drastisch erhöht. Meine Eltern gehören zur Hochrisikogruppe, Sohn 02 ebenfalls … Aber auch sonst ist unser Leben ja schwer genug. Krankheiten, scheiternde Beziehungen, Arbeitslosigkeit, Studienabbruch, schlechte Schulnoten, Mobbing, fehlendes Geld. Bei uns unter anderem die Krankheit von Sohn 02 und alles, was damit verbunden ist. Generell einfach die Unplanbarkeit meines Lebens und meine Machtlosigkeit gegen Schlechtes darin – Murphys Law lässt grüßen.

Das Unfähigkeits-Dreieck

Wenn ich ehrlich auf mein Leben schau, habe ich kaum irgendetwas so richtig im Griff. Wenn ich für meine Arbeit Höchstleistung bringen will (was ich will), dann leidet die Zeit, die ich mit der Familie verbringen kann. Wenn ich mich voll in meine Familie investiere (was ich will), wird meine Arbeit darunter leiden. Und dann bin ich ja auch noch als Person da, in die ich mich investieren müsste. In meine Gesundheit, Entwicklung, Ruhezeiten etc. (was ich will). Aber das zieht dann wieder Zeit und Kraft von den anderen Bereichen ab.

Am Ende jongliere ich immer mit diesen drei Bereichen und kann keinem wirklich gerecht werden. Ja, werde regelmäßig schuldig an meinem Arbeitgeber, meiner Familie und mir. Egal, wie viel ich mich anstrenge.

Kleinvieh macht auch Mist

Aber auch die ganz kleinen Sachen sind ja oft schon stärker als ich. Hast du schon einmal versucht, eine kleine dumme Angewohnheit zu ändern? Etwa weniger Schokolade zu essen? Noch nicht mal bei so etwas kann ich sagen: Das habe ich einfach so im Griff.

Mein Leben ist schwer und ich habe es nicht im Griff. Doofe und oft leidvolle Kombi.

Mir tut es unglaublich gut zu wissen und zu spüren: Ich bin mit dieser Grenzsituation und meiner Angreifbarkeit durch so einen Minivirus (oder Schokolade) nicht allein. Gott ist in meinem Angst-Haben, Hoffen, Weinen, Klagen, Zittern, Lachen und Fluchen.

Da erlebe ich Onlinegottesdienste und meine Gebetszeiten viel bewusster und intensiver, als das sonst oft der Fall ist. Weil mir neu deutlich wird, dass ich Gott in meinem Hoffen, Schreien, Jubeln, Verzagen und Fluchen ansprechen kann. Dass weder mein Leid noch meine Zuversicht ins Leere geht, sondern von einem liebevollen Du umarmt wird.

Mein Glaube und meine Verbindung mit Gott lässt mich sowohl die Tatsache dieser Pandemie, die so viele Menschen bedroht, besser aushalten, als auch konkrete Bilder aus Italien, Brasilien und den USA. Sie helfen mir im Umgang mit Verschwörungsgläubigen und der eigenen ohnmächtigen Angst.

Sie helfen mir Not auszuhalten und darin nicht zu verzweifeln. Sie ändern meinen Blickwinkel. Helfen mir zu sehen, dass mein Leben gar nicht in meiner Hand liegen muss. Weil ich meine Not, Angst, Last und … mich bei Gott abgeben darf. Und darin erlebe: Ich bin gesehen, wertgeschätzt, geliebt, getragen und OK, so wie ich bin. Das nimmt so viel Schwere. Das ist ein gutes »tägliches Brot«!

Anfang des Jahres hatte ich die großartige Gelegenheit Tsehaywota Taddesse (National Director Compassion Ethiopia) kennenzulernen. Ein großartiger, weiser, Gottes Liebe ausstrahlender Mensch. Mit Blick auf die Coronakrise hat er einen Satz gesagt, der mir nicht aus dem Kopf gegangen ist:

»You cannot lock God in – every direction of developement is an open door to him.« — Tsehaywota Taddesse

Das ist zutiefst wahr, glaube ich. Deswegen: Gott, bitte gib uns auch heute, was wir zum Leben brauchen!

— Dein Heiko

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